Europa Galante und Ian Bostridge
Ian Bostridge gehört seit langem zu den interessantesten und außergewöhnlichsten Sängern, obwohl der Brite sein Debut als Sänger erst 1993, schon fast 30jährig, gab. Bevor er sich dem Gesang widmete – dies geschah wegen Dietrich Fischer-Dieskau, wie er selber einmal in einem Interview sagte – hat er in Oxford Philosophie und Geschichte studiert und über die „Hexerei“ promoviert. Bostridges Repertoire geht von Monteverdi bis Britten, von Madrigalen aus dem Frühbarock, die er genau so überzeugend vorträgt wie Hans Werner Henzes „Gesänge aus dem Arabischen“ hin zu Kurt Weills Balladen. Sein enormer Stimmumfang springt mühelos zwischen Tenor zum tiefen Bariton. Heute zählt er außerdem zu den besten und gefragtesten Schubertsängern. Mit großem Ausdrucksempfinden und unprätentiöser Virtuosität bringt er das Publikum zur Begeisterung.
Das Programm am Freitagabend im Pierre Boulez Saal war dem Frühbarock gewidmet und dazu hat er sich Fabio Biondis exquisites Ensemble Europa Galante mit ins Boot geholt.
Claudio Monteverdis „Combattimento di Tancredi e Clorinda“ entstand 1624 und gehört zum Achten Madrigalbuch. Es ist ungewöhnlich lang und erzählt die tragische Geschichte des Kreuzritters Tancredi, der sich unsterblich in die Sarazenin Clorinda verliebt und sie im Kampf tödlich verwundet, unwissend, dass sich hinter dem Kämpfer, seine geliebte, verkleidete, Clorinda verbirgt. Sterbend bekennt sie sich zum Christentum und vergibt ihm. Der Text des Madrigals wird erzählt, unterbrochen zwischendurch allerdings von Passagen indirekter Rede der beiden Protagonisten. Monteverdi selber sagte hierzu in einem Vorwort des gedruckten Madrigalbuches: „Mir ist klar geworden, dass unsere Leidenschaften oder Gemütsbewegungen drei zentralen Begriffen zuzuordnen sind: Zorn, Mäßigung und Demut oder Flehen (Ira, Temeranza & Humiltà o supplicatione“). Bostridge singt sich in beide Gegner hinein und wechselt jeweils die Stimmlage.
Der dritte Liedbeitrag von Bostridge ist„Tempro la cetra“ aus dem Siebten Madrigalbuch von Claudio Monteverdi. Es entstand 1619.
„La Serenissima“, die magische Stadt in der Lagune, war um 1600 eine bedeutende Handelsmetropole und florierte nicht nur wirtschaftlich und künstlerisch. Als Musikzentrum stand Venedig in würdiger Konkurrenz zu Städten wie Rom oder Neapel. Claudio Monteverdi (1567-1643) war bis zu einem Tod Kapellmeister in San Marco.
Mit dunkler Schwermut, kummerdurchzogen, ätherisch und elegisch fast kommt er beim Trauergesang « Incassum, Lesbia » (The Queen’s Epicedium) von Henry Purcell (1659-1695) daher, den dieser anlässlich des Todes der geliebten Queen Mary II (1695) komponierte. Er singt das so innig und lautmalerisch, als ob es seine eigene Mutter wäre, die dort zu Grabe getragen wird. Purcell verehrte diese Königin sehr, die 32jährig an den Pocken starb.
Das Ensemble Europa Galante spielt außerdem Sonaten von Dario Castello, drei Stücke aus Girolamo Frescobaldis Fioro musicali (1635) und ein sehr modernes Werk von Carlo Farina (1600-1639) Capriccio stravagante à 4 „Ein kurtzweilig Quodlibet » (1627). Man geht davon aus, dass Farina in Mantua die Musik des dortigen Kapellmeisters Monteverdi gekannt haben muss. Farina kam später durch Heinrich Schütz an den Dresdner Hof. Vieles von seinen Kompositionen ging verloren. Das gestern gespielte Werk – wie der Name kurtzweilig schon erklärt – ist geprägt von permanentem Wechsel der Tempi und Rhythmen und steckt voller musikalischer Streicher-Überraschungen, wie das Miauen von Katzen oder das Bellen von Hunden. Eine echte trouvaille!
Der schlaksige, hochgewachsene Bostridge wirkt unglaublich jungenhaft und so sympathisch. Er spricht ausgezeichnet Deutsch und Italienisch. Sein inniger, geschmeidig-expressiver Gesang kommt durch große Textverständlichkeit noch näher.
Als Zugabe singt er in einwandfreiem Deutsch „Bist Du bei mir“, ein Stück aus dem „Notenbüchlein für Anna Magdalena Buch“. Und jetzt wünschen wir uns, dass er mit einem Bach-Programm direkt weiter macht.
Fabio Biondi hat das italienische Ensemble Europa Galante 1990 gegründet. Sie haben sich auf Opern und Vokalwerke des 17. und 18. Jahrhunderts spezialisiert. Nach Berlin kam Biondi mit Andrea Rognoni (Violine), Ernst Braucher (Viola), Alessandro Andriani (Violoncello), Patxi Montero (Viola da gGmba, Kontrabass), Marta Graziolino (Harfe), Giangiacomo Pinardi (Theorbe), Paola Poncet (Cembalo, Orgel) und Fabio Biondi selber (Musikalische Leitung und Violine).
Großartiges Konzert!
cmb