Hieronymus Bosch – Das Steinschneiden
„Meister, schneid den Stein heraus – Mein Name ist dummer Dachs“
Wer in den Niederlanden im Mittelalter „Einen Stein im Kopf hatte“, der brauchte einen Barbier. Denn nur dieser konnte den Wahnsinn herausschneiden. Vorausgesetzt natürlich, dass der Kranke oder seine Familie die nötigen finanziellen Mittel dazu aufbringen konnten. Die listigen Quacksalber reisten von Ort zu Ort, zogen Zähne, verkauften geheimnisvolle Kräutersalben und führten kleinere Operation durch, zu denen auch die Entfernung des Narrensteins gehörte. Meist gab die Familie oder die Kirche diesen Narrenschnitt in Auftrag. Und wenn der Patient vor der Operation noch nicht wahnsinnig war, dann war er es sicher danach, denn ihm wurde – ohne Narkose versteht sich – die Kopfhaut mit einem Messer aufgeritzt und so lange in der Wunde herumgepult, bis sich dem Scharlatan eine günstige Gelegenheit bot, einen mitgebrachten und im Ärmel versteckten Stein hervor zu zaubern. Diese Schädelöffnung wurde vor allem in den heutigen Niederlanden praktiziert, meist an öffentlichen Plätzen und vor Publikum. Eine erfolgreiche Narrenstein-Operation war die beste Werbung für den fahrenden Medizinmann und verbreitete sich im Handumdrehen. Die übers Ohr gehauene Familie würde schon den Mund halten, denn blamieren wollte sich niemand. Und da bei Bosch sogar die verrückte Welt noch einmal umgedreht wurde, ist es bei seinem Kranken kein Stein sondern eine Blume und in Holland muss es natürlich eine Tulpe sein.
Die Operation findet im Freien statt. Bosch hat die Trepanationsszene in einen Kreis eingeschlossen. Weiter hinten am Horizont sieht man einen Ort mit einer Kirche. Es sind vier Personen anwesend. Der Patient ist ein älterer, dicklicher Herr. Man hat ihn mit einem Tuch an den Stuhl gefesselt, an dessen Lehnen er sich auch festklammert. Der umgestülpte Trichter auf dem Kopf des Chirurgen weist diesen als Betrüger aus. Der Trichter war allerdings auch ein Zeichen für Wahnsinn.
Manchmal kam das Entfernen des Steines einer Kastration gleich und der von seiner allzu großen Lust geheilte Patient fand anschließend vielleicht den Weg zurück in die Kirche. Der Scharlatan trägt anstelle eines Beutels einen großen Tonkrug am Gürtel. Die Nonne mit dem Buch der medizinischen Wissenschaften auf dem Kopf und der Dominikaner-Mönch scheinen dem Kranken zur Seite zu stehen, wahrscheinlich haben sie den Eingriff aber vermittelt und warten auf ihre Provision. Der Dominikanerorden genoss nicht den besten Ruf, hatte er doch schon ab dem 14. Jahrhundert durch päpstlichen Auftrag die Aufgabe, Häretiker und Hexen aufzuspüren und zu verfolgen. Aus diesem Orden gingen übrigens die Oberinquisitoren Bernard Gui oder Torquemada hervor. Um Familie dürfte es sich eher nicht handeln, dafür gibt sich die Nonne zu teilnahmslos und außerdem hat ihr Bosch einen Geldbeutel in Form einer Kröte gemalt, womit er sie direkt in die Ecke der Geldgierigen und Geizigen stellt. Der Mönch mit einem großen Krug in der Hand, scheint hingegen dem Wein zuzusprechen. Der große Leder-Geldbeutel des Patienten verrät, dass er vermögend ist, allerdings ist die Geldtasche von einem Dolch durchbohrt. Seine Holzpantinen stehen ordentlich unter seinem Stuhl. Das Ende des Eingriffes ist abzusehen, denn schon kommt die Tulpe ans Tageslicht, was den Mönch zu erfreuen scheint. Der Patient hat Augen und Mund geöffnet, wirkt verwirrt und hat sicher auch Schmerzen. Auf dem Steintisch mit Knollenfuß liegen schon zwei Tulpen. Die frische Blüte könnte darauf hinweisen könnte, dass es nicht die erste erfolgreiche Operation an diesem Tage war. Es handelt sich hier um „Sumpftulpen“, die in der damaligen Gaunersprache Geld bedeuteten.
Links hinter dem Trichter erkennt man einen Galgen und vielleicht sogar einen Scheiterhaufen. Eine Warnung, dass Scharlatanerie auch bestraft werden kann? Allerdings zeigt die Entfernung, dass dies eher selten passiert.
Die Tafel misst nur 48,5 x 34,5 cm groß und hängt im Madrider Prado. Gemalt hat Bosch sie ungefähr um 1500, auf jeden Fall nach dem Garten der Lüste, eines der rätselhaftesten Gemälde der Welt, das ebenfalls im Prado zu sehen ist.
Über den Künstler:
Der bekannteste Maler der niederländischen Renaissance, Hieronymus Bosch, ist um 1450 geboren. Schon in seinem ironisch-kritischen Frühwerk Der Gaukler warnt er vor Betrügern und Gaunern. Aber bekannt sind vor allem seine dickbäuchigen oder spinnenähnlich-hässlichen Dämonen, seine fliegenden Fische und die fabelreichen Mensch-Tier-Kreuzungen, mit denen er gerne an paganen und religiösen Bräuchen vorbeischrammt und zum Vorreiter der Surrealisten wird.
Boschs Bilder geben Stoff für stundenlange Interpretationen. An seinem Geburtsort s’Hertogenbusch ist er 1516 eventuell an der Cholera verstorben.
Christa Blenk