Je suis Jeanne d’Arc – Gorki Theater Studio
„Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!“ (Schiller, Johanna von Orleans, 5. Akt)

Der französische Regisseur Mikaël Serre hat sich Schillers Tragödie Die Jungfrau von Orleans vorgenommen und es auf die jetzige Zeit und das aktuelle Aufkommen von Patriotismus und Nationalismus begleitet von Flüchtlingsdramen, Terroranschlägen und die allübergreifende Hilflosigkeit von Politik und Gesellschaft übertragen – sei es in Deutschland, in Frankreich oder der Welt.
Die züchtige und gläubige Schäferin Johanna, wird in der Zeit des 100-jährigen Krieges im 15. Jahrhundert als Jeanne d’Arc zur Retterin Frankreichs und zur Nationalheldin. Sie vertrieb die Fremden (Engländer) von französischem Boden, krönte Charles VII, wurde als Häretikerin verdammt und bei lebendigem Leib verbrannt. Daraus hat Schiller eine romantische Tragödie gemacht.
Die Bronzestatue der Heldin Johanna steht im ersten Arrondissement in Paris und ist zum Kultort des Front National geworden, wohin diese regelmäßig pilgern und durch die Presse breittreten lassen.
Mikaël Serre hat Schiller defragmentiert, eine Art Slapstick-Tragikomödie daraus gemacht, die die Zuschauer ständig zwischen Lachen und Weinen pendeln lässt. Es ist auch eine Abrechnung mit der französischen Geschichte und während unter dem dominierenden Kreuz in der Kirchenschiff-förmigen Bühne von Nina Wetzel über Trennung von Kirche und Staat gesprochen wird, werden Schillers noble Aufklärungswünsche über Menschlichkeit und Empathie von Hasstiraden der wütenden und verlassenen Pariser Vorortbewohner zertreten.
Bourgogne (Aleksandar Radenkovic) will Burgunder trinken, reißt sich die Kleider vom Leid und versucht mit großem körperlichen Einsatz auf einem Strohsack über das Meer zu schwimmen. Er kommt dabei ums Leben. Die Videoprojektionen von Sébastien Dupouey zeigen die Terroranschläge in Paris, glückliche Strandbesucher, verklärte Engel aus der Stummfilmzeit, den Massenkonsum und religiöse Symbole. Anspielungen auf Charly (Hebdo oder Brown?) wechseln sich mit einem crossover-Musikarrangement von Nils Ostendorf ab. Die Schauspieler tragen zum Teil historische Kostüme, leicht verfremdet die dann später zweckentfremdet werden. So wird der Mantel des weinerlichen Weichei-Königs (Faliou Seck) zur Pferdedecke für Jeannes Gaul. Sie durchschaut aber den Betrug und ruft plötzlich „Du bist kein Pferd“ – alle lachen und das Nicht-Pferd wird abgemetzelt.
Um die abfallende Stimmung ein wenig aufzurichten, erzählt Jeanne in bewundernswertem Rattertempo einen Witz, der eigentlich keiner ist und nur ihr selber ein erzwungenes Lachen abringt. Man vergisst im Verlauf der ca. 80 Minuten, wer die Guten oder die Bösen sind, man vergisst auch worum es geht. Eigentlich dürfte man gar nicht Lachen, denn weder Stoff noch Geschichte geben Anlass zum Amüsement.
Es dauert lange bis Jeanne (Marina Frenk) schließlich aus ihrer Ecke ins Geschehen tritt. Die Jungfrau mit Kreuz und Fahne poltert ihren Text herunter, der von Schiller aber auch aus allen politischen Ecken kommen könnte und überzeugt schließlich König und Gefolge nach Bestehen des Jungfrauentestes, dass sie eine von Gott Gesandte ist. Ähnlich einer Götzenbeschwörung sieht man Marine le Pen auf der Leinwand, die von einer Schweinemaske in Ektase betanzt wird. Schillers Text wird mit politischen und philosophischen Zitaten aus der französischen und Weltpolitik aufgemischt und es geht hin und her zwischen rechts und links und ganz rechts und man singt „Avancer, avancer“. Beide, Bâtard Dunois (Mehmet Yilmaz für den ausgefallenen Till Wonka) und La Hire (Aram Tafreshian) wollen Johanna zur Frau damit sie endlich des Weibes Pflicht erfüllen kann und feilschen um ihre Gunst. Sie lehnt ab, stapft energisch von der Bühne und aus dem Delacroix- Männergruppenbild mit Fahne, um sich den kurdischen Frauen anschließen.
Aber diese Aneinanderreihung von Gemeinplätzen wäre auch ohne Schiller möglich gewesen, Geschadet hat es allerdings auch nicht.
Die Premiere fand im Dezember 2015 statt – vier Wochen nach dem Pariser Bataclan Attentat und ein knappes Jahr nach Charly Hebdo!
Für Serre ist es nicht das erste Mal, dass er am Berliner Maxim Gorki Theater arbeitet. « Deutschland ist der Ort, an dem ich mich ausdrücken kann » – sagte er vor ein paar Jahren als er im Jahre 2009 Camus’ Fremden und ein Jahr vor Schillers Johanna von Orleans die Pädagogische App Performance The Rise of Glory dort inszenierte.
Christa Blenk