„Neues vom Tage“ in Ancona – 2008
Reality Show an der Adria
Alessio Vlad, 2007 der künstlerische Direktor am Theater von Ancona, hat mir bei dem Abendessen anläßlich der Ordensverleihung an Maestro Henze erzählt, dass er in Ancona Hindemiths „Neues vom Tage“ produziert – ich habe dann gleich beschlossen zur Premiere Ende Januar hinzufahren – mit dem Auto.
Eine kleine nette Provinzstadt in der man viel auf und ab geht, meistens mit einem schönen Blick auf die Adria – mit einer Kathedrale deren Fundamente 1128 errichtet wurden – ein wunderbares romanisches Bauwerk mit einem 12-eckigen Turm. Ansonsten gibt es viel Gotik in der Stadt – viele Kirchen, die meisten von Giorgio Orsini erbaut.
Dirk Schümer hat geschrieben dass diese Oper – wäre sie heute geschrieben – „NEWS“ heissen würde. Für mich war es eher eine „Reality Show“ – man öffnet Wohnungstür, Zimmertür und Schubladen ….u.s.w. Sehr weitsichtig war Hindemith mit seinem Stück, geschrieben zu einer Zeit wo es noch kein Fernsehen gab (nämlich 1929).
„Neues vom Tage“ ist eine Gebrauchsanleitung für eine Scheidung. Laura und Eduard – frisch verheiratet – streiten sich (sehr!) und wollen sich scheiden lassen. Das einzige was fehlt ist ein Scheidungsgrund. Aber wo nimmt man den Grund her, den das Amt verlangt? Sie erfahren, dass man sich den Scheidungsgrund „leihen“ kann – bei einer Agentur – er heisst Hermann.
Zwischendurch liesst immer jemand die Nachrichten vor („Neues vom Tage“ eben). Da erfahren wir wer den Weltrekord im Schwangerendauerlauf erlangte, dass Mussolini in Rom ein „Heim für arme Numismatiker“ eröffnet hat und auch dass sich Hermann – gegen die Gesetze der Agentur – in Laura verliebt hat. Das Privatleben wird vor dem Publikum breitgetreten, verschachert. Hindemith hat diese Komödie mit dem Berliner Lieder-Schreiben Marcellus Schiffer geschaffen. Wir haben uns köstlich amüsiert. Hindemith hat keine Berührungsängste was die verschiedenen Musikstile angeht. Zackig, Charlston-Look, jazzig, leicht, schwer, Bach auch – wie die 20er Jahre! Regie führte Pier Luigi Pizzi – er hat alles sehr minimal gehalten. Schlicht – Art-deco – sehr mondrianisch und Bauhausmöbel. Man hat es dann aber doch nicht geschafft die Nazis draussen zu halten – Hakenkreuze gab es überall (ich glaube ich habe die letzten Jahre nicht eine Oper aus der Zeit gesehen ohne Nazi-Symbole – ich bin es leid und kann es nicht mehr sehen). Man wollte uns damit sicher zeigen, dass Hindemith später verfolgt worden ist.
Vlad hat die Sänger sehr gut ausgesucht. Gun-Brit Barkmin ist Laura, Katharina Peetz ist Frau M. Beide waren den schweren Partien 100% gewachsen. Wolfgang Holzmair ist Eduard und Jon Ketilson ist der „schöne Scheidungsgrund Hermann“. Man denkt bei seinem Anblick an „Veronika, der Lenz ist das“ und an die Comedian Harmonists. Dirigiert hat Bruno Bartoletti, was natürlich ein plus war. Er ist schon sehr alt – die Italiener lagen ihm zu Füßen! Er kam mit der Musik und dem Orchester fantastisch gut zurecht.
Alessio Vlad hat das « Teatro delle Muse » vor ein paar Jahren ganz neu konzipiert und wieder aufbauen lassen. Ich finde, es ist ein Meisterwerk zeitgenössischer Architektur geworden und « Neues vom Tage » hat da gerade gut reingepasst.
Christa Blenk