Sand zwischen den Zehen – Besprechung meines Kurzgeschichtenbandes
Ellen Norten für KULTURA EXTRA
In Die Bucht werden malerische Idylle und tödliche Gefahr kombiniert. Schönheit existiert nicht ohne die dunkle Seite der Natur. Wir als Leser erleben dieses unvermeidliche Miteinander auf drastische Art und Weise mit.
Es sind nicht nur verschiedenen Handlungsorte, zwischen denen sich die Autorin mit großer Souveränität bewegt, sie bedient auch die verschiedenen literarischen Genres, die sich in diesen 25 Kurzgeschichten präsentieren. So ist die Schilderung der italienischen Mentalität bei einer Ausflugsbootsfahrt zum Stromboli in ihrer Kuriosität kaum zu überbieten. In Tyrrhenisches Feuer- und Wassertheater wird keineswegs übertrieben.
Beklemmend emotional ist dagegen die Fahrt einer Frau zum Schafott. In Das letzte Geleit empfindet sie trotz anstehender Hinrichtung so etwas wir Glück. In Paola kommt es zum Wiedersehen zweier Menschen auf Elba. Ihre Vergangenheit reicht bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück, die Vorgänge von damals ermöglichen diese besondere Liebesgeschichte.
Küsse am Froschteich in Verirrte Frühlingsküsse und die Verhandlung der Tiere zur Zukunft des Einhorns in Die Gefangennahme des Einhorns halten Ironisch-Satirisches bereit. Auch in der dramatischen #Kabinenpanik nimmt Christa Blenk den „neuen“ Sammlerwert alter Telefonzellen auf die Schippe.
Kulinarisch geht es in Malinchens Taufpreis zu. Erzählt wird über die kuriose Konstruktion von Schokogirlanden, die die Kinder beim Wiegenfest in die Irre leiten. Auch beim Magischen Elixier geht es um Schokolade, die zur Handlungszeit jedoch noch weitgehend unbekannt ist. Hier werden keine Kalorien gezählt, sondern die Vorteile der süßen Spezialität genossen. Perfekte Essensplanung mittels Listen wird in der Selbsthilfegruppe Anonyme Obsessioniker diskutiert. Ist es ein auf die Spitze getriebener Spleen oder einfach nur Organisationstalent? Immerhin scheinen die Essensrunden zu funktionieren. Gegessen wird auch bei der titelgebenden Geschichte Sand zwischen den Zehen. Die Küste bei Noirmoutièr und ihr extremer Tidenhub sind für Muschelsammler ein Eldorado (ein Muschelrezept „Casserole Noirmoutière“ wird mitgeliefert). Hier spielt auch die Geistergeschichte Seemannsgarn. Die Protagonistin durchbricht an der Hand eines seltsamen Mannes eine Nebelbank. Dahinter offenbart sich ihr ein lange verborgenes Geheimnis, dem eine wahre Begebenheit zu Grunde liegen könnte.
Über langjährige Freundschaften und was sie bewirken können, geht es im Rollentausch. Sternendinner und Im Bann der vergangenen Zukunft sind gute Science-Fiction Stories mit feiner Schilderung und ungewöhnlichem Plott. So hat eine einzige Region mit Namen „Navadia“ den Untergang unserer Welt überlebt, konnte dies aber nur im industriellem und entwicklungsgeschichtlichen Rückwärtsgang erreichen. Doch wie weit lässt sich die Entstehungsgeschichte der Menschheit umkehren?
In eine ganz andere Richtung geht es bei Irdisches und göttliches Liebesgerangel. Hier liegen die alten Gottheiten Venus und Psyche in Konkurrenz. Der alte Wolf erzählt sagengeschichtlich Überliefertes, und in Schwarzer Schnee erlebt der Protagonist eine Reise durch alte Meisterwerke.
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Allen Geschichten voran stellt Christa Blenk eine kurze Abhandlung zu Lichtmalern. Licht und Meer spielen in ihren Geschichten eine immer wiederkehrende Kulisse. Claude Monet, Anders Zorn, Joaquin Sorolla, Lovis Corinth und Charlotte Berend alias Paddel-Petermannchen werden von ihr in ihrem Wirken kurz vorgestellt.
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Ellen Norten ist bei KULTURA EXTRA die Literatur-Expertin.

