Erzählungen und Kurzgeschichten: Sand zwischen den Zehen
Auszug aus der Geschichte: Die Bucht
Malerisch recken sich die porösen und zerklüfteten grauen Felsmassive nach unten, zur Bucht. Bevor sie allerdings den Strand und das türkisblaue Meer erreichen, bleiben sie kühn und bedrohlich in der Luft hängen. Eidechsen und andere Reptilien scheint dieser Hängezustand nicht zu beeindrucken. Sie räkeln sich träge auf dem sonnengewärmten Gestein. Allerdings trügt die zur Schau gestellte Untätigkeit. Die runden Augen der Schuppenkriechtiere finden keine Ruhe, lassen die in den Pinien, Korkeichen und im Ginster nistenden Greifvögel nicht eine Sekunde aus den Augen, sind auf der Hut, sind Jäger und Gejagte zugleich.
Ein Fischer hat vor vielen Jahren einen Trampelpfad angelegt, der sich heute gut versteckt und mühsam zwischen Gestrüpp, Disteln und Unkraut nach unten schlängelt. Entdeckt man ihn und wagt man den Abstieg, erreicht man sie: die Bucht. Weniger anstrengend aber dafür unromantischer ist die Ankunft übers Wasser.
Ignoriert man einmal angekommen das ziemlich verblichene und kaum noch zu entziffernde Schild „Paso Prohibido“, schützen die massigen, unterschiedlich großen Felsbrocken perfekt vor der gnadenlosen Sonne. Einen Hinweis darauf, warum man sich nicht hinter das Schild begeben darf gibt es genauso wenig wie eine physische Absperrung.
Der Rhythmus der in unregelmäßigen Abständen herunter rieselnden Kieselsteine, das Zirpen der Grillen, das Gekreische der aufgeschreckten Vögel, das leichte Rascheln des Gebüschs im Wind und das Plätschern des müßig hin- und herschwappenden Mittelmeers komponiert vor dem Hintergrund der Stille eine behaglich-sphärische Strandmusik.
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Auszug aus der Geschichte: Verirrte Frühlingsküsse
„Pünktlich zum Frühlingsbeginn wirst Du Dir Deinen Traumprinzen herbei küssen.“
So prophezeite es mir die Kartenlegerin. Ein Frosch, ein Kuss, ein Prinz. Das hörte sich bei ihr so einfach an. Aber irgendetwas muss ich falsch gemacht haben. Bis jetzt ist jedenfalls einfach alles schief gelaufen.
Dabei habe ich extra ein Schloss, ein kleines wohlgemerkt, mit Graben angemietet, um meinen zukünftigen Prinzen standesgemäß empfangen und beherbergen zu können. Ein Vermögen kostet mich das alles und was ist passiert: Absolut nichts!
Mittlerweile liegt der dritte gescheiterte und glitschige Versuch hinter mir.
Die Wahrsagerin vergaß zu erwähnen, wie ekelhaft und aufwendig es ist, einen Frosch zu küssen. Vorausgesetzt man erwischt das flutschige Tier – denn so ein Frosch kann schnell und unkoordiniert in alle Richtungen springen – darf man ihn dann nicht allzu fest halten, um den eventuell zukünftigen Prinzengemahl nicht zu erwürgen. Ist man schließlich soweit gekommen, empfiehlt es sich die Augen zu schließen und sich vorsichtig dem Froschmaul zu nähern.
Soweit ging alles gut, aber dann verließ mich jedes Mal das Glück: Drei Küsse und kein Prinz in Sicht, nicht einmal ein hässlicher oder verarmter. Dabei ging ich nach dem Besuch bei der Wahrsagerin mit einem richtig guten Gefühl nach Hause.
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Mein Frust wurde größer, der Graben tiefer, die Hoffnung geringer.
So verging das erste Jahr.
Mit der Mandelblüte kam der nächste Frühling und ich wagte wild entschlossen einen dritten Kuss. So kam sie, die lesbische Krankenschwester vom Roten Kreuz in mein Schloss und Leben. Sie verliebte sich umgehend in mich. Mit ihren rot lackierte Zehen- und Fingernägel, dem tanzenden Stethoskop über ihrem schwarzen Bustier, den Handschellen um den Hals, dem hautengen roten Lederrock, den knallgelben Strümpfen und High Heels sieht sie auf den ersten Blick wie eine Domina auf Bundestagswahl aus. Sie fühlte als erstes meinen Puls und verordnete mir direkt einen Betablocker. Kein Wunder, dass mein Blutdruck so hoch ist, bei der Aufregung, der ich permanent ausgesetzt bin. Als nächstes verabreichte sie mir ohne mich zu fragen eine Vitamin-B-Spritze und zwang mich, jede Menge Beruhigungstropfen zu schlucken, auf Zucker getröpfelt auch noch. Dabei achte ich sehr auf meine Linie. Man weiß ja nie, vielleicht klappt es ja doch noch mit meinem Prinzen und dann passe ich nicht ins Hochzeitskleid. Nicht auszudenken! Man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben. Aber enttäuscht bin ich schon. Da erwartet man einen Prinzen mit langen Beinen, blonden Locken, gelben Hosen, gezackter Krone und viel Geld und was bekommt man? Ein Triangel aus verkleideten, sprechenden Unken.
Mit der Zeit verwandelte sich mein Burggraben in einen Froschteich, denn der Gartenknilch lud seine komplette Verwandtschaft ein, sich dort nieder zu lassen. Im Frühjahr sind Frösche ja besonders aktiv und es quakt den ganzen lieben Tag lang.
Mittlerweile hat mich der Bund für Umwelt- und Naturschutz kontaktiert sowie diverse Umweltschützer, denn die Diversität meiner Froschgemeinschaft umfasst Grasfrösche, Teichfrösche, Moorfrösche und Laubfrösche und die Ergebnisse von mittlerweile vielzähligen Fusionen. Der Naturschutzbund hat der UNESCO empfohlen, uns ins Welterbe aufzunehmen. Außerdem wollen sie Beobachtungsposten einrichten, um diese Froschvielfalt zu studieren, die hier so eng und in Harmonie miteinander lebt und sich kräftig fortpflanzt. Meine Frösche tummeln und tarnen sich am liebsten zwischen den grünen Frühlingssprossen der Seerosen im Burggraben, der natürlich Wasser führt. Dafür sorgt schon der Gartenknilch. Ich habe mir aber Bedenkzeit erboten, denn eigentlich wollte ich mit meinem Prinzen alleine leben, sollte sich jemals doch noch ein solcher in mein Leben verirren. Obwohl, bei dem Lärm, dem Gequake und den permanenten mehrstimmigen Froschkonzerten, nimmt der doch sofort Reißaus. Von den Mücken ganz zu Schweigen.
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Insgesamt 25 Geschichten, darunter auch drei Reisegeschichten, ein Rezept und ein paar Bildbeschreibungen.
Christa Blenk