5 août 2023 0 Commentaire

Pablo Gargallo – Kiki de Montparnasse

für KULTURA EXTRA

Als der Vorreiter der Moderne, Pablo Picasso, während des Ersten Weltkrieges die Seine überquerte und von Montmatre auf die Rive Gauche, ins Montparnasse-Viertel, zog, folgten ihm nach und nach die anderen Bateau Lavois-Bewohner, jedenfalls, die, die es sich leisten konnten. Einer der Treffpunkte war das Café La Rotonde. Dort konnten die Avantgarde-Künstler stundenlang vor einer Tasse Kaffee sitzen und reden. 1917 tauchte eines Tages eine junge, unbekannte Frau mit einem Männerhut und zu großen Schuhen auf und setzte sich an den Tisch zu Chaim Soutine. Moïse Kisling war von ihrer ungewöhnlichen Schönheit hingerissen und bot ihr einen Dreimonatsvertrag als Modell an. Das Mädchen war die 1901 unehelich im Burgund geborene Alice Prin, die als Zwölfjährige zu ihrer Mutter nach Paris kam, aber lieber als Modell arbeitete als zur Schule zu gehen. Alice lernte andere Maler und Intellektuelle, darunter Jean Cocteau, Ernest Hemingway, Modigliani, Francis Picabia und Guillaume Apollinaire kennen. Letzterer starb kurz nach ihrem Eintreffen an der Spanischen Grippe, nachdem er im Krieg einen Kopfschuss überlebt hatte. Alice wurde so etwas wie das Maskottchen der Gruppe, die in der Künstlerkolonie La Ruche die Zukunft entwarf. 1918 begann Alice eine Affäre mit dem polnischen Maler Maurice Mendjisky, und der war es auch, der ihr den Namen Kiki de Montparnasse verlieh. In den folgenden Jahren war Kiki praktisch Muse aller führenden männlichen Avantgarde-Künstler. 1921 machte Man Ray sie zu seinem bevorzugten Modell und zu seiner Geliebten. Rays Foto mit Kiki als Modell Le Violon d’Ingres war eines seiner bekanntesten Arbeiten. Die Affäre dauerte ein paar Jahre. Ende der 1920er Jahre versuchte sich Kiki de Montparnasse als Filmschauspielerin und ging in die USA. Erfolglos kehrte sie aber wieder nach Paris zurück und bekam Rollen in einigen bekannten Avantgarde-Filmen.

Ein ausgesprochen gelungenes Porträt von ihr ist die Plastik Kiki de Montparnasse des Spaniers Pablo Gargallo.

Obwohl dem Gesicht die Augen fehlen und die Skulptur eher als detailarm oder minimalistisch zu bezeichnen ist, kann man die quirlige Künstlermuse sofort darin erkennen. Die junge Frau mit dem frechen, modernen Pagenhaarschnitt blickt geradeaus auf den Betrachter. Über ihren Ohren fallen die Haarspitzen nach vorne. Von rechts schlängelt sich auf Augenhöhe eine Haarsträhne in Form einer verführerischen Schlange heran. Diese unterbricht die perfekte Symmetrie, die von einer durchgehenden klaren Linie von der Stirn bis zum Kinn definiert wird. Um diese Dissonanz wieder auszugleichen, deutet Gargallo schüchtern den rechten Nasenflügel und eine linke, voluminöse, lächelnde Lippe an. Raum und Form lösen sich auf und fusionieren bei der leicht und filigran wirkenden, hohlen Plastik, die einer Theatermaske ähnelt. Haltung, Stil und Frisur gleichen einem Portrait, das der polnische Malers Gustaw Gwozdecki 1920 von Kiki gemalt hat. An diesem Werk dürfte sich der Bildhauer auch inspiriert haben, denn ihm, Gargallo, hat Kiki angeblich nie Modell gesessen. Man muss um den Kopf herumgehen, um die dreidimensionale und betörend, futuristisch, minimalistische Plastik und deren Leichtigkeit wahrzunehmen.

Diese polierte Bronzeskulptur verdankt ihren Glanz der Ormolu-Technik, eine Art Feuervergoldung mit Goldamalgam, die schon in der Antike angewandt wurde und damit zu den ältesten Metallvergoldungstechnikern zählt. Ein Musterbeispiel ist der Goldene Reiter in Dresden. Der Name Ormolu kommt aus dem französischen „or moulu“. Es handelt sich hier um eine sehr stabile und haltbare Technik. Eine Politur von Hand mit besonderen Poliersteinen erzeugt das unglaubliche Schimmern. Im 18. Jahrhundert war dies ein beliebtes Verfahren, um Uhren und Luxusgegenstände zu vergolden. Der Fertigungsprozess war allerdings durch verdampfendes Quecksilber nicht ganz ungefährlich und wurde deshalb im Jahre 1830 in Frankreich verboten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ging man zu einer galvanischen Vergoldung über.

Die Plastik Kiki de Montparnasse von Pablo Gargallo entstand 1928, misst 20,5 x 17,2 x 11,5 cm und befindet sich im Pariser Louvre.

Kiki de Montparnasse schaffte es nach dem Krieg nicht mehr, in ihr altes, bewegtes und schillerndes Leben zurückzukehren und stirbt 1953 verarmt an den Folgen einer Kokain-und Alkoholsucht.

Der Spanier Gargallo gilt heute als einer der bedeutendsten Künstler der europäischen Bildhauer-Avantgarde, die er entschieden mitbestimmt hat. Auch er gehörte zeitweise zur Gruppe um Max Jacob, Juan Gris und Picasso im Pariser Bateau Lavoir. Gargallo meißelte seinen Landsmann Picasso in Stein, lötete und schmiedete bereits seit 1911 und vervollständigte seine raffinierten Techniken, die ihn zu einem Vorreiter und Pionier der modernen Plastik machten. Anfangs hin- und hergerissen zwischen einem klassischen Stil und den Lockungen der Moderne entwickelte er zusammen mit dem damals bekanntesten spanischen Bildhauer, seinem Freund Julio González, eine Formvereinfachung und einen eigenen, dreidimensionalen Stil. Manchmal stand ihnen nur Pappe für ihre Hohlraum-Experimente zur Verfügung.

Gargallos Hauptwerk Der Prophet (1933) zählt zu den Höhepunkten der kubistischen Hohlplastik.

Er starb 1934 an einer Lungenentzündung in Tarragona.

Die Stadt Saragossa hat ihm ein wunderbares Museum gewidmet, in dem außer dem plastischen Werk auch viele seiner Zeichnungen zu sehen sind.

Christa Blenk

 

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