1 juillet 2023 0 Commentaire

Dora Carrington – Porträt Lytton Strachey

für KULTURA EXTRA

Die lebhafte, unbändige und unschuldige Malerin Dora Carrington (1893-1932) ist die erfolgversprechendste Studentin ihres Jahrgangs und knapp 20 Jahre alt, als sie den schwächelnden, verklärten, homosexuellen Literaten Lytton Strachey kennenlernt. Die beiden verlieben sich und beginnen vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges eine innige, platonische Beziehung, die 17 Jahre dauern sollte. Strachey fühlt sich aber auch zu Dora Carringtons späterem Ehemann Ralph Partridge hingezogen. Sie führen viele Jahre eine ménage à trois. Dies hindert die Drei aber nicht daran, sich außerhalb ihrer Dreierbeziehung in unzählige Affären zu stürzen. 1916, am Anfang ihrer zärtlichen und besonderen Beziehung, malt Dora Carrington den damals 36-jährigen Lytton Strachey (1880-1932) als schwachen, kränkelnden und älteren Mann.

Obwohl Carrington dieses großartige Portrait von Strachey 15 Jahre vor seinem Ableben malt, verdammt sie ihn auf eine Art Totenlager. So als ob sie seinen frühen Tod schon vorausgeahnt hätte. Seine gepflegten, manieristisch langgezogenen El Greco-Hände spielen die Hauptrolle und ziehen unseren Blick magisch an. Die Position der Hände erinnert an jene der liegenden, mittelalterlichen Statuen auf Grabstätten in Kirchen. Lyttons rechte Hand scheint das Bild verlassen zu haben. Auf den Fingernägeln trägt er transparenten Lack. Sein aufrecht aufgeschlagenes, schwer aussehendes Buch steht senkrecht zu dem schwarzen Bettgestellt auf der linken Seite und gibt dem expressionistischen Bild im Munch-Stil eine geometrische Komponente, rahmt seinen Körper ein. Es ist nicht zu erkennen, was er da liest. Es kann sich hier allerdings nicht um seinen ersten großen Erfolg, Eminent Victorians, einer beißend-ironisch, scharfzüngigen Sammlung von Kurzbiografien handeln, denn dieser Band wird erst zwei Jahre später, 1918, erscheinen. Stracheys langer, rötlicher Bart ist heller als seine schwarzen Haare und reicht bis unter die bunte Bettdecke, die zusammen mit dem Buchrücken eine Hommage an Matisse und den Fauvismus zu sein scheint. Strachey trägt eine braun gerahmte, feine Nickelbrille auf seiner leicht gebogenen und für einen so schmächtigen Mann mächtigen Nase. Die Brillenbügel betonen seine großen, rötlichen Ohren. Seine Haut ist leicht fleckig. Auf dem Kopf scheint der sonstige Hutträger ein Toupet zu tragen. Eine schwarze Haarsträhne klebt auf seiner niedrigen Stirn. Die dunkle Jacke ist nicht zugeknöpft und bringt ein weißes Hemd und eine farbige Weste ans Tageslicht. Die Wand hinter ihm ist schmutzig weiß, so auch sein dickes, bequemes Kopfkissen. Carrington hat ihren Freund von der rechten Seite gemalt, eher unüblich für ein Körperportrait, den Kopf links zu finden. Mit dem Bild verrät die Künstlerin nicht, dass der dunkelhaarige, schlanke Lytton Strachey mit seiner Falsett-Stimme und seinem beißendem Humor eine ausgesprochen faszinierende Persönlichkeit der Bloomsbury-Gruppe und gefürchtet war für seinen feinen und scharfen Sarkasmus. Carrington malt ihn wie jemand, der beschützt werden muss. Ein wenig hat sie ihre Rolle auch so gesehen.

Das kleinformatige Bild misst 508 x 609 mm und hängt in der National Portrait Gallery in London.

Wie enorm bedeutend die Beziehung zu Lytton Strachey für sie wirklich war zeigt sich, als sich die lebenslustige Dora Carrington nach Lyttons Tod 1932 mit einer Schrotflinte in ihrem Haus in Berkshire das Leben nimmt. Carrington, so wollte sie genannt werden, hat zu Lebzeiten so gut wie kein Bild öffentlich ausgestellt.

Die Bloomsbury Group entstand 1905 mit Lytton Strachey als Gründungsmitglied. Benannt wurde sie nach einem Londoner Viertel gleichen Namens, in dem anfangs die regelmäßigen Treffen stattfanden. Diese Vereinigung von Pazifisten, Freidenkern, aufgeschlossenen Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern, die alle irgendwie miteinander entweder verwandt, verheiratet, verschwägert oder sexuell verbandelt waren bestand bis zum Zweiten Weltkrieg. Ihre Maxime war eine kulturelle und soziale Modernisierung von England, hinausgehend über den small talk bei dünnem Tee, pappigen Gurkensandwiches im Rosengarten und rauem Tweed. Zu der Gruppe gehörte unter anderem auch der Maler Duncan Grant, Liebhaber und Cousin von Strachey und Mann von Vanessa Bell, der Schwester von Virginia Woolf, die mit ihrem Mann Leonard ebenfalls Mitglied war. Die Kunstmäzenin Lady Ottoline Morrell gewährte während des Ersten Weltkrieges in ihrem Haus in Oxfordshire vielen Künstlern und Kriegsverweigerern Zuflucht. Auch der bekannte Ökonom John Maynard Keynes gehörte zur Bloomsbury Group, sowie dessen Liebhaber W.J.H. Sprott, ein bekannter Soziologe. Keynes würde sich aber später in die russische Ballet Russe Tänzerin Lydia Lopokova verlieben und sie zur Überraschung aller heiraten. Die Mitglieder waren fast ausschließlich Absolventen der Cambridge University und nannten sich auch die Cambridge Apostles. Ein Manifest hatte die Gruppe jedoch nicht.

Über die Dreiecks-Liebesgeschichte zwischen Dora Carrington, Strachey und Partridge hat Christopher Hampton 1995 einen Film mit Emma Thompson in der Rolle der Carrington gedreht, in dem dieses besprochene Porträt eine Rolle spielt.

Christa Blenk

 

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