Werkbetrachtung: August Strindberg – Inferno
Der schwedische Schriftsteller und Dramatiker August Strindberg (1849-1912) ist heute vor allem aufgrund seiner Theaterstücke bekannt. Aber es gibt auch den Künstler und Fotografen Strindberg. Als Maler vertraut er der Leinwand seinen zerrupften Seelenzustand an und greift auf seine Lieblingsthemen zurück: Angst, Gewalt, Trostlosigkeit, Resignation, Konfusion. Inferno heißt sein autobiografischer Roman aus 1897, in dem er sich mit Alchimie und Okkultismus auseinandersetzt, aber vor allem die Depressionen nach seiner zweiten gescheiterten Ehe verarbeitet. Inferno ist auch der Titel eines seiner bekanntesten Bilder.
Diese Hölle kommt kalt daher, oder vielleicht findet sie auch am Rande statt und ist eine Buschhölle. In der Mitte prangt ein wie von Hand herausgerissenes, unregelmäßiges Loch, das ein grob-weißes, mächtiges Eis-Universum freigibt. Ein Fenster, eine Hommage an die Renaissance, das nordische Eisschollen, Gischt oder einfach nur stürmischen Himmel freisetzt. Die weiße Farbe trägt er mit einem Messer auf, nachdem er die Farbtöpfe direkt vorher auf der Leinwand geleert hat. Unbekümmert, nuancenreich, uneben und frech, ja geradezu skandalös für das damalige Kunstverständnis. Für den Betrachter sieht es so aus, als ob der Künstler kurz einen Vorhang zur Seite geschoben hätte, denn immer wieder blitzen durch den grünen, dunklen, moosigen, schwer zu bändigenden Baumgestrüpp-Rahmen, Eiszapfen oder Eisblumen hervor, die verraten, dass das, was dahinter ist, eine weiß-schwarz-blaue Eishölle sein muss. Zwischen dem satten Grünzeug und den Eiszapfen pflanzt er mit seiner Spachtel immer wieder rote Blätter oder Blüten, die hervor züngeln, wie ein schüchternes Feuer oder sind es Phantasmen, die in sein Buschgefängnis, seine Isolation, eindringen wollen, die Hexenmaschinen, von denen er in seinem Roman Inferno schreibt, die seine Freunde auf ihn angesetzt haben sollen, um ihn und seine Erfindungen auszuspionieren. Der rauschende, naturgewaltige, vertikal herabstürzende fast körperliche Wasserfall trifft weiter unten auf nicht gefrorenes, dunkles, brackiges Schlingpflanzen-Wasser, das horizontal in den grün-braunen Blätterrahmen ragt. Strindberg selber fühlte sich immer wieder von geheimen Kräften ferngesteuert und malt sich hier seine Zufluchts-Grotte, denn das Eis-Inferno draußen ist so kalt, dass man sich verbrennen wird in ihm. Es gibt kein Leben auf dem Bild, auch keine Architektur. Mit dem realistischen Blattwerk hat er sich besonders viel Mühe gegeben, aber trotzdem bleibt es ein expressionistisches Bild.
Zeitweise will man ihn mit Caspar David Friedrich vergleichen, aber der Gedanke verfliegt dann auch gleich wieder. Den Auflösungsprozess hat er bei Turner gesehen. Seine Faszination für den Engländer beweisen auch die Bilder Die erste Wiege oder Wunderland.
Inferno entstand 1901 und wurde Anfang der 1990er Jahre für 1,2 Millionen Pfund bei Christie’s in London versteigert. Mit 100 x 70 cm gehört es zu seinen größeren Werken. Es hängt heute in einer Privatsammlung.
So intensiv, fanatisch und obsessiv hat August Strindberg immer nur in Schreibblockaden gemalt. Laut eigenen Aussagen hat er keinen Pinsel besessen, sondern mit Messer und Spachtel und dem Zufall gearbeitet. Mit dem Zufall setzt er sich auch in seinem schriftlichen Werk Neue Kunstrichtungen oder der Zufall im künstlerischen Schaffen auseinander. In der Inferno-Krise, so nennen seine Biografen diese Zeit, befasst er sich auch mit Chemie und Alchimie und versucht, Gold herzustellen.
Strindberg wird in eine kultivierte, puritanische Familie mit acht Kindern hineingeboren. Sein Vater muss als Dampfschiffkommissionär mitsamt der Familie oft seinen Wohnsitz wechseln. Mit 13 verliert er seine Mutter an die Tuberkulose und bekommt eine sehr junge Stiefmutter. Er versucht sich als Schütze, Prediger, Lehrer, Journalist, Kunstkritiker, studiert ein wenig Medizin, will dann Schauspieler werden und fängt schließlich an zu schreiben. 1892 lernt er in Berlin Edvard Munch kennen und später Paul Gauguin in Paris. Die Bilder, die in schreibfreien Phasen entstehen, sind meist mit seinen jeweiligen Stücken verbunden. Angstzustände, Verzweiflung, Verfolgungswahn, Ehekrisen – auch seine dritte Ehe geht in die Brüche – wechseln sich ab, die Geldsorgen bleiben. In seiner großen finanziellen Not denkt der Autodidakt Strindberg sogar darüber nach, ein Atelier für psychologische Porträtfotografie zu eröffnen. Schon vor der Jahrhundertwende experimentierte er mit selbst gebastelten Guckkasten-Kameras. Seine Fotoporträts sind einfühlsam und sensibel. Hat Strindberg mit seinen Theaterstücken Erfolg, fällt er als Künstler komplett durch. Seine Welt bestünde « nur aus Urgewalten und kosmischem Durcheinander », schreibt die Presse nach seiner ersten Ausstellung, die ein komplettes Fiasko wird. Der schwedische König Oskar II. hasst nicht nur seine Schriftstellerei sondern auch das moderne « Geschmiere ». Eines der damals ausgestellten Bilder, Schneetreiben auf dem Meer, wurde sogar als „ein zum Trocknen aufgehängtes, schmutziges Laken“ bezeichnet. Strindberg war ein Expressionist auf dem Weg zur Abstraktion, ein Vorreiter und Inspirator der Kunst des 20. Jahrhunderts allemal. In seinen letzten Lebensjahren haben sich seine Werke ein wenig aufgehellt. Er stirbt 1912 in Stockholm.
Christa Blenk