5 octobre 2022 0 Commentaire

Werkbetrachtung: Ermordung des Marat – Jacques-Louis David

für KULTURA EXTRA

 

Jean-Paul Marat (1743-1793) versuchte sich als Arzt, Physiker und Naturwissenschaftlicher, war Journalist, gehörte den Freimaurern an und arbeitete für einen Sklavenhändler, bis er dann in der Revolution seine Bestimmung fand. 1793 starb er für die Sache, aber nicht auf der Guillotine, wie viele andere seiner Mitstreiter, sondern in der Badewanne. Marat wurde in einer spektakulären Aktion von einer verarmten Adeligen aus Caen erstochen.

Jacques-Louis David (1748-1825) kam 1780 nach einem fünfjährigen Rom-Aufenthalt, für den die von ihm damals schon verhasste Königliche Akademie bezahlte, in die Heimat zurück und schockierte die Pariser mit seinem Purismus, einer Mischung aus Antike, Klassik und Caravaggio. Der talentierte Maler schloss sich den Jakobinern an und stimmte 1793 für den Tod Ludwigs XVI. David war es auch, der Marats Begräbnis in die Hand nahm und dafür sorgte, aus dem ermordeten Marat einen Märtyrer zu machen. Hauptzutat dafür war sein symbolträchtiges Werk Die Ermordung des Marat, das noch im selben Jahr fertig gestellt wurde. Das Gemälde schenkte er dem Nationalkonvent.

Bild und Geschichte ähneln einem Krimi:

Ein Mann mit einem Turban liegt in der Badewanne. Er wurde erstochen. Die Stichwunde unter dem Schlüsselbein ist noch frisch. Vielleicht lebt er sogar noch. Sein Körper und sein rechter Arm hängen so weit aus der Wanne, dass der Federkiehl, den seine Hand noch fest umklammert, den Boden berührt. Der Tod scheint ihn beim Arbeiten überrascht zu haben. Prominent vorne auf der Holzkiste vor der Badewanne stehen der Name des Ermordeten, der Name des Künstlers und das Entstehungsjahr „l’an deux“ ( im zweiten Jahr der Proklamation der Revolution) des Bildes. Eine weitere Feder und ein Tintenfass befinden sich auf der Kiste. Quer über der Wanne liegt eine Schreibunterlage. Marat, der aufgrund einer Hautkrankheit, die er sich in der Pariser Kanalisation zugezogen haben soll, seinen Arbeitsplatz praktisch in die Badewanne verlegen musste, verfasste dort seine Texte und Pamphlete sowie seine Korrespondenz. Am Revolutionsgeschehen nahm er aktiv nicht mehr teil zu diesem Zeitpunkt. Gut sichtbar hält er einen Brief in der linken Hand, auf dem ein blutiger Fingerabdruck hervorsticht. Diesen Brief hat er aber nicht geschrieben. Er ist von seiner Mörderin Charlotte Corday und dort steht: „14. Juli 1793. Die Adelige Marianne Charlotte Corday an den Bürger Marat. Dass ich sehr unglücklich bin, reicht aus, ein Recht auf ihr Wohlwollen zu haben.“ Somit ist auch die Täterin identifiziert. Den Brief hat Marat in Wirklichkeit allerdings nie erhalten. Er ist Teil von Jacques Louis Davids Märtyrer-Inszenierung. Auf der Holzkiste liegt ein weiteres Billett. Dieses scheint Marat geschrieben zu haben und damit stellt ihn der Maler als großzügigen Gutmenschen dar, der einer Kriegerwitwe mit fünf Kindern finanzielle Hilfe zusagt. Über dem Badewannenrand hängt ein elegant gefaltetes, mit Blut beflecktes, Badetuch und auch das Badewasser ist schon rot gefärbt. Die Tatwaffe ist ein Messer mit einem hellen Griff, das achtlos, gut sichtbar, auf dem Boden links vor der Wanne liegt. Ausgeleuchtet ist nur der untere Teil des Gemäldes. Der Hintergrund ist ein gesprenkeltes Schwarz. Niemand hat versucht, Spuren zu verwischen.

Charlotte Corday (1768-1793) kam von Caen nach Paris, kaufte sich in den Palais-Arkaden ein einfaches Küchenmesser und machte sich damit auf den Weg zum Nationalkonvent, wo sie Marat vermutete. Dieser nahm aber schon seit längerer Zeit, aufgrund seiner Krankheit eben, nicht mehr an den Sitzungen teil. Corday machte seine private Adresse ausfindig, fuhr zu seiner Wohnung und erkämpfte sich den Weg ins Innere, bis sie vor ihm stand und ihm nach 10 Minuten Unterhaltung das Messer in die Brust rammte. Marat, der damit natürlich nicht rechnen konnte, hatte seine Lebensgefährtin vorher weggeschickt. Corday machte keinen Versuch zu fliehen. Sie wurde direkt verhaftet, verhört und ein paar Tage später hingerichtet. Eigentlich hat sie ihren Gegnern damit einen Gefallen getan, denn jetzt hatten sie ihren Märtyrer, den David perfekt in Szene zu setzen wusste. Corday selber wurde von den Royalisten als eine neue Jeanne d’Arc gefeiert.

Der bekannteste Maler des Klassizismus in Frankreich, Jacques-Louis David, hat hier eine moderne Kreuzabnahme, eine Grablegung ähnlich der Pietà von Michelangelo geschaffen und den 50-jährigen Marat als dahin gemetzelten Held stilisiert, dem man seine Krankheit nicht ansieht. Er sieht aus wie ein kräftiger, aktiver Mann aus der Antike, der mitten aus einem gesunden Leben gerissen wurde. Marat scheint sogar zu lächeln. Die Szene ist in mildes Licht getaucht. Die Dunkelheit in der oberen Hälfte des Bildes verrät, was Marats Tod hinterlässt: Leere.

Nach Robespierres Hinrichtung 1794 wurde es auch eng für den Maler selber. David landete im Kerker und schrammte nur deshalb an der Guillotine vorbei, weil sich viele Verehrer für ihn einsetzten. Die Zeit im Kerker hat er aber genutzt und den Blick auf den Jardin du Luxembourg gemalt, sein einziges Landschaftsbild übrigens. Außerdem soll die Idee zu den Sabinerinnen im Gefängnis geboren worden sein. Letzteres wiederum hat Napoleon angesprochen, so sehr, dass er sich dann später, als Kaiser, von David portraitieren ließ und so wurde aus dem Maler der Jakobiner der Hofmaler David.

Die Ermordung von Marat ist ein wahres Meisterwerk mit den Maßen 165 x 128 cm, es entstand 1793 und wurde zur Ikone der französischen Revolution, aber niemand wollte es später haben. Zuerst musste David es verstecken, bis es schließlich ein Neffe von ihm Ende des 19. Jahrhunderts an die königlichen Museen der Schönen Künste in Brüssel verkaufte, wo es immer noch hängt. Eine leicht veränderte Atelier-Kopie befindet sich im Louvre. Nach Brüssel ins Exil verschlug es 1816 auch den Künstler selber, als er sich nach der Absetzung von Napoleon weigerte, öffentlich die Hinrichtung von Ludwig XVI. zu bedauern, dort ist Jacques-Louis David 1825 auch verstorben.

Christa Blenk

 

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