14 décembre 2021 0 Commentaire

Werkbetrachtung: Fernand Khnopff – Memories

gekürzt für KULTURA EXTRA

 

Ein illusionistischer Symbolist, ein versnobter Dandy oder ein traumverlorener Einzelgänger? Wahrscheinlich war der Mann mit dem unaussprechlichen und schwierig zu schreibenden Namen von allem ein wenig. Der Belgier Fernand Khnopff (1858-1921) hat sein Leben der Interpretation von Hypnos gewidmet und dabei immer wieder auf sein Lieblingsmodell, seine Schwester Marguerite, zurück gegriffen. Sie war seine Muse, die er immer wieder idealisierend auf die Leinwand brachte. Auf dem übergroßen Pastell-Bild „Memories – Lawn Tennis“ ist sie gleich sieben Mal zu sehen. Das Bild entstand nur ein paar Jahre nach den ersten Rasentennis-Meisterschaften 1877 in Wimbledon. Die 10 Pfund Eintrittsgeld sollten die Anschaffung einer neuen Rasenwalze ermöglichen. Im Entstehungsjahr des Bildes, 1889, durften dann auch schon Frauen an den Wettkämpfen teilnehmen.

Laut den Lichtverhältnissen im Bild dürfte es später Nachmittag sein. Teilnahmslos und unorganisiert stehen sie auf dem Rasen herum. Wer sind sie? Was machen Sie? Sind sie fertig oder haben sie das Spiel noch vor sich? Eigentlich kann diese Fragen nur der Künstler beantworten. Die mysteriöse Versammlung besteht aus sieben jungen Frauen, offensichtlich aus der gehobenen Gesellschaftsschicht. Sie scheinen nicht zu wissen, wie es weiter geht und warten auf Weisung. Die Frau in der Mitte steht mit dem Rücken zum Betrachter. Die blickt als einzige nach links, während die Blicke der anderen Frauen nach rechts in eine leere Ferne schweifen. Wir wissen auch nicht, ob es eine Gewinnerin oder ein Gewinnerteam gibt. Ihre hochgeschlossenen Kleider unterscheiden sich nur durch unterschiedliche Lila-Farbtöne. Eigentlich sollten sie ja den Tag kommentieren, denn der Sport scheint die einzige Verbindung unter ihnen zu sein. Das ist aber nicht der Fall. Jede hängt ihren eigenen Tagträumen nach. Sie tragen einen Hut über den kantigen, ausdruckslosen Gesichtern. Wie Puppen oder eine Ballettgruppe kommen sie daher, wartend auf den Choreografen, der ihnen verraten wird in welche Richtung sie sehen oder gehen sollen. Vielleicht warten sie aber auch noch darauf, in Teams eingeteilt zu werden und sind die Letzten an diesem Spieltag. Ein Tennisball ist nirgends zu sehen und die Schläger wirken wie Accessoires, scheinen wie durch Zufall in ihre Hände geraten zu sein. Die unsichtbare Linie über ihren Köpfen engt sie proportional ein und verwirrt den Betrachter. Einzig die große Frau links außen setzt sich von ihnen ab. Sie trägt ein eleganteres Gewand mit einem engen Bustier – es handelt sich hier um das Kleid, in dem Khnopff seine Schwester Marguerite zwei Jahre vorher gemalt hat, ein Ganzkörperportrait in Weiß. Sie wirkt verletzlicher, graziöser und legt verträumt ihre rechte Hand in den Nacken unter die blonden Haare. Eine hilflose Geste. Als einzige trägt sie keine Kopfbedeckung. Tennis dürfte sie auch nicht gespielt haben. Vielleicht kann sie es nicht oder vielleicht wurde sie nicht ausgelost und ist die Siebte im Spiel. Wie eine Ersatzspielerin sieht sie allerdings auch nicht aus. Diese Motiv-Vervielfachung zaubert eine Zeitlücke ins Geschehen und zeigt die Frauen in unterschiedlichen Momenten an diesem Nachmittag. Sie befinden sich in einem Wartesaal zwischen Illusion und Realität, zwischen Tradition und Moderne – wie Khnopff auch. Bei den Frauen handelt es sich immer um die Schwester des Künstlers, Marguerite. Er hat sie selber in unterschiedlichen Posen fotografiert, die Klischees koloriert und die Körper dann mit Pastellfarben auf die Leinwand übertragen. Die vorbereitenden Fotos dafür hat man erst in den 1960er Jahren entdeckt.

Memories entsteht 1889, misst 127 x 200 cm und hängt in den Königlichen Museen der Schönen Künste in Brüssel. Khnopff hat das Bild anlässlich der 10. Weltausstellung 1889 in Paris präsentiert: Auf dieser ist übrigens auch der Eiffeltum enthüllt worden.

Fernand Khnopffs bekanntestes Bild ist „L’art ou des caresses“ (Die Kunst oder Die Liebkosungen), darauf umarmt ein androgynes Mädchen eine hermaphroditische, rothaarig gelockte Geoparden-Frau.

Nach dem Tod seines Vaters baut sich Fernand Khnopff in Brüssel eine Art Heiligenschrein, seinen „Tempel des Ich“. Dort kann er ungezwungen seinem Lieblingsgott Hypnos huldigen. Leider wurde das Haus schon in den 1930er Jahren im Rahmen von Erbstreitigkeiten abgerissen. Im Brüsseler Museum für schöne Künste gibt es ein Modell davon. Die Vorderseite sieht wie eine Kirche aus und oben auf dem Turm thront eine große Aphrodite.

Bedeutende belgische Literaten wie Emile Verhaeren und Maurice Maeterlinck haben sich schnell mit der neuen Symbolismus-Strömung um 1900 aus Frankreich angefreundet und eng mit bildenden Künstlern wie Fernand Khnopff, George Minne oder Félicien Rops zusammen gearbeitet. Khnopff hat unter anderem auch den Einband für Georges Rodenbachs Buch „Bruges la Morte“ entworfen. Der Komponist Erich Wolfgang Korngold hat über 25 Jahre später die Oper „Die tote Stadt“ aus diesem Stoff komponiert. Für Rodenbachs Stück „Le Mirage“, das 1903 im Deutschen Theater Berlin unter der Regie von Max Reinhardt aufgeführt wurde, entwarf Khnopff das Bühnenbild.

In Frankreich wie in Belgien wurde der Symbolismus zur Gegenreaktion auf die technischen Errungenschaften aber auch auf die impressionistische Malerei. Khnopffs große Vorbilder waren die englischen Präraffaeliten wie Edward Burne-Jones und Dante Gabriel Rossetti, deren Arbeiten er auf der Pariser Weltausstellung 1878 entdeckte. Die Poesie von Cristina Rossetti inspiriert ihn immer wieder zu Arbeiten und schürt seine symbolträchtigen Visionen zwischen Tod und Ekstase, zwischen Verführung und Sünde. Für Khnopff ist die Maschine das Todesurteil für Geheimnisse, Rätsel, Träume und Mysterien. Modernität vereint sich nicht mit seiner Hauptobsession, dem chthonischen griechischen Schlafgott Hypnos.

Christa Blenk

 

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