Zettel und Titania – Fuessli
Der Maler Johann Heinrich Füssli (1741-1825) war fasziniert von Shakespeare und das zu seiner Zeit, in der man eher wenig von dem großen Dichter außerhalb von England kannte. In Füsslis Geburtsjahr kam zum ersten Mal eine Übersetzung von Julius Cäsar in deutscher Sprache auf den Markt. Erst mit der Romantik wurde der englische Dichter auch auf dem Kontinent bekannt und beliebt. Der junge, hochgebildete und rebellische Theologiestudent Füssli hingegen, vereint schon als sehr junger Mann eine Art Shakespeare-Fanclub um sich und versucht sich an der Übersetzung des Macbeth. Sein Bild „Lady Macbeth“ entsteht 1784 und zählt zu seinen bekanntesten Bildern. Füssli muss mit 22 Jahren aus politischen Gründen die Schweiz verlassen und geht nach London. Zuerst ist er als Schriftsteller und Übersetzer tätig, bis ihn der Künstler Joshua Reynolds zur Malerei bringt. Henry Fuseli nennen ihn die Briten und geben ihm den Beinahmen der „wilde Schweizer“. In London endlich kann Füssli die Theaterstücke von Shakespeare, die er bislang nur gelesen oder über die er geschrieben hatte, auf der Bühne sehen. Shakespeare-Themen landen auch später immer wieder auf seiner Palette. Den Sommernachtstraum hat er öfters interpretiert. Eines seiner Werke nennt er Titania liebkost Zettel mit dem Eselkopf.
Es geht hier um die Rache des Elfenkönigs an seiner Frau Titania, die mit seinem Pagen flirtet. Oberons Deus ex machina heißt Puck und soll ein Zaubermittel versprühen, das Titania für das nächstbeste Wesen, das ihr über den Weg läuft, in Liebe entbrennen lässt und da kreuzt der eselsköpfige Weber Zettel ihren Weg. Er ist einer der Protagonisten in diesem mythologischen Verwirrspiel, der sich in dieser mondsüchtigen Nacht des 21. Juni im Wald herumtreibt. Füssli macht den Betrachter zum Voyeur des sinnlichen Beziehungsdramas zwischen Dämon und Königin. Titania trägt einen kleinen Hut mit einer Mondsichel, der ihr Haar fast nicht berührt und umarmt liebevoll-innig mit beiden Armen das Esel-Mischwesen. Zettel, der das alles ganz ruhig über sich ergehen läßt, hat seine Arme um seine eigenen Knie geschlungen. Der sonst geschwätzige Weber aus Athen sitzt gerade und teilnahmslos, ja passiv und prominent in der Mitte des Bildes. Sein goldfarbener Eselskopf ist mit einer Perlenkette geschmückt, die er sich als Handwerker gar nicht leisten kann. Das weiße, übersinnliche Scheinwerferlicht verleiht der halbnackten, blonden Titania eine hingebungsvolle Lüsternheit und nimmt dem Gemälde sämtliche Farbtöne. Die seltsamen Hände des weiblichen Wesens hinter den Beiden streicheln Zettels Kopf. Ist sie eine Elfe, eine Fee oder ein Waldgeist oder sind die deformierten Hände ein Ergebnis von Füsslis fehlenden Anatomiekenntnissen? Die vom Elfenkönig geplante Demütigung ist nicht eingetreten, denn die verliebte Titania merkt ja nicht, dass sie sich lächerlich macht, indem sie einen Esel umarmt. Sie scheint ihren Traum durchaus zu genießen. Füssli gönnt Oberon diese Rache also nicht. Umgeben ist das seltsame Paar von anderen Tier- oder Fabelwesen, die überall im Bild um das Paar herum schweben. Es sind Naturgeister, Mitglieder von Titanias Hofstaat und Hofmusiker, die zum Mondfest aufspielen und den Traum musikalisch untermalen. Ein gespenstischer Wind scheint sie alle durch das Bild zu wehen. Oberons ausführendes Organ, sein Handlanger Puck, ist oben rechts im Bild als roter, leidenschaftlicher Fleck zu sehen. Dieser hat aber, wie soll es anders sein, seinen Auftrag ein wenig zu ernst genommen und gleich alles, was ihm vor die Füße lief, mit dem Wundermittel betröpfelt und so ein großartiges Chaos in dieser Sommersonnwendnacht hervorgerufen. Die beiden anderen edlen, stark geschminkten Fräuleins links oben im Bild sind wahrscheinlich Hermia und Helena. Füssli macht sie zu Holzfrauen und lässt sie aus dem Licht kommend seine Waldbühne betreten, um in seiner verruchten, geheimnisvollen Dunkelheit des verzauberten Gehölzes zu verschwinden. Wir wissen aber nur aus Shakespeares Geschichte, dass ihre Welt und ihr Liebesleben für diese spezielle Nacht ebenfalls aus den Fugen geraten wird, denn Füssli hat das nicht gemalt. Erst der Morgen beendet das Chaos und stellt wieder Ordnung her.
Johann Heinrich Füsslis surreal-romantischer Grusel-Manierismus holt sich seine Phantasiewesen direkt von der Theaterbühne. Um Konventionen, seien es künstlerische oder persönliche, kümmert er sich sowieso nicht und um genaue Interpretation des Textes geht es ihm auch nicht. Ständig sorgen seine vor verbotener Verzückung strotzenden Bilder für Skandale, die ihm nicht immer Ehre einbringen, aber ihn berühmt machen. Theater, Literatur und Poesie oder Legenden bleiben sein Leben lang seine Inspirationsquellen. Man unterstellte ihm die Teilnahme an okkultistischen Aktionen und angeblich soll er auch Opium konsumiert haben, um seine Schöpferkraft immer wieder anzukurbeln. Die englische „Gothic“-Bewegung inspirierte sich vor allem durch seine Auslegungen von Miltons „Paradise Lost“ oder von Dantes „Göttlicher Komödie“. Füssli gräbt immer wieder im menschlichen Unterbewusstsein und nimmt den Betrachter mit auf eine Reise zwischen prickelnder Angst, doch auch mal von einem solchen Wesen nachts aufgesucht zu werden und der erleichterten Hoffnung, am Morgen wieder sicher und ruhig aufzuwachen und sich mit Genuss daran zu erinnern.
„Titania liebkost Zettel mit dem Eselkopf“ entsteht 1793, misst 135 x 169 cm und hängt im Kunsthaus Zürich.
Christa Blenk