Der Seerosenteich – Claude Monet
1870 geht Claude Monet (1840-1926) nach London. Er ist 30 Jahre alt, muss immer wieder vor Gläubigern flüchten, seine Bilder werden meist vom ranzigen Pariser Salon abgelehnt und er will dem deutsch-französischen Krieg entkommen. Ihm steckt noch die Algerien-Erfahrung der 1860er Jahre in den Knochen, auch wenn ihn seine Tante nach zwei Jahren Militärdienst dort freikaufen konnte. London wird sich als Glücksfall für ihn herausstellen. Monet lernt die Malerei des bereits verstorbenen Künstler, William Turner (1775 -1851) kennen und schätzen. In London wird außerdem der französische Kunsthändler Paul Durand Ruel auf ihn aufmerksam und kauft ihm viele seiner Werke ab. Turners geniale Malerei inspiriert ihn zu mutigen Farb- und Lichteffekten, aber an der Raumperspektive hält er vorerst noch fest. Zwei Jahre später kommt er nach Le Havre zurück und malt von seinem Hotelfenster aus und unter Einfluss von Turners Bild Fighting Temeraire eines der bekanntesten Bilder der neueren Kunstgeschichte: Impression, Soleil levant. Die Presse zerreißt es, irrt wieder einmal und meint „Eine Tapete im Urzustand ist besser als dieses Seestück“. Dieses erste impressionistische Bild kommt wie eine verschmelzende, ineinander greifende Auflösung daher, bei der alle Farben mit vernebelten Transparenzen fusionieren. Teile der Leinwand, bemalt er einfach nicht, wenn er die Farbe Weiß braucht. 1000 France bekommt er für dieses Bild. Monet kauft sich ein Hausboot und malt Landschaften an der Seine. Wasser in all seinen Zuständen fängt an, ihn zu faszinieren, er wird besessen davon, auf Anerkennung seiner Kunst muss er warten. Seine Geldprobleme hat er immer noch nicht im Griff und die Zeiten, in denen er und seine kleine Familie ständig umziehen musste um Händler zu finden, die ihn anschreiben ließen, sind noch präsent bist er Camille im japanischen Kostüm malt und 100 000 Franc dafür erhält.
Mit einem Bild vom Pariser Bahnhof von Saint Lazare und den Getreideschobern entstehen die ersten Serienbilder und der amerikanische Kunstmarkt entdeckt ihn. 1897 ist Claude Monet mit 20 Werken auf der Biennale von Venedig vertreten und kann jetzt endlich das gemietete Haus in Giverny kaufen. Der Garten kommt später dazu. Monet malt nicht mehr was er sieht, sondern was er empfindet, Motive verlieren ihre Bedeutung. Giverny, in der Normandie, nur 70 km von Paris entfernt, wird sein Rückzugsort während des Ersten Weltkrieges und der Ort des Trostes, als sein Augenlicht schwindet.
250 Mal hat der französische Impressionist Claude Monet Seerosen in seinem Zaubergarten mit Teichen, Dämmen, Wasserstraßen und der bekannten japanischen Holzbrücke in allen möglichen Farben, Größen und zu unterschiedlichen Tageszeiten gemalt. Jedes Bild ist anders und ist das Ergebnis eines Momentes. Ein Heer von Gärtnern pflanzt und pflegt über Jahre hinweg seltsame Wasserpflanzen aus Japan und Mexiko, aber so wie sein Erfolg steigt, schwindet sein Augenlicht. Monet wird abstrakt und Gärtner arrangieren seine Modelle: die Seerosen.
Seinen Farbgarten komponiert er so, dass nur Farben die zusammen passen, gleichzeitig erblühen. Die Nymphéas (Seerosen) werden während der letzten 30 Jahren seines Lebens die Krönung einer Vorliebe für Serien.
Dieser Seerosenteich (Le Bassin aux Nymphéas) entsteht 1919. Monets Augen sind schon sehr schlecht. Er malt eine Nahansicht, nur einen Ausschnitt. Weder Umfeld, noch Ufer, Himmel oder Konstruktionen sind zu sehen. Monets Blick fällt von schräg oben auf das Gewässer. Rote und weiße, sporadisch hervor blitzende Blütensprenkel schwimmen zwischen grünen Inseln, die sich leicht vom Wasser abheben. Jemand hat seine Teiche einmal Marmeladenbrote genannt. Es sind Stillleben, manche ähneln offenen Austern oder gelb eingefassten Muscheln. Der Teich ist fast komplett bedeckt von Blättern und kleinen Blüten oder Gräsern, nur in der Mitte kommt bläulich-violettes Wasser zum Vorschein. Richtig aufgeblüht sind die Seerosen nicht. Es ist wohl noch früh. Schlingpflanzen schimmern in der Mitte durch bis an die Wasseroberfläche. Immer größer wird sein Pinsel, die diese Reflexlandschaften, wie er sie selber nennt, entstehen lässt. Die Blau-Grün-Rot-Rosa-Töne sind dem Japonismus geschuldet. Monet verzaubert den Seerosenteich in einen bunten, symbolistischen Kimono. Die Farben haben schon längst ein Eigenleben angenommen und kümmern sich nicht mehr um den Erschaffer. Perspektiven, Raumgefühl, Realismus spielten keine Rolle mehr.
Besessen von der Idee wartet Monet schon vor Sonnenaufgang auf den perfekten Moment. Aufwendige Konstruktionen braucht er für diese Fließbandproduktion. Er selber bewegt sich mit einem Rollwagen von Leinwand zu Leinwand. Oft hat er nur ein paar Minuten pro Tag für die benötigten Lichtverhältnisse, dann macht er am nächsten Tag weiter, aber nur wenn er Glück hat und sich das Licht nicht verändert hat. Er wird zum malenden Gärtner und gärtnernden Maler und greift durchaus auf die Fotografie zurück. Fertiggestellt werden die Werke später im Atelier. Mit den Seerosen vollendet er seine Kunst. Sie sind seine Sternstunden. 2008 hat ein Privatmann dieses Bild für 40,9 Millionen britische Pfund bei Christies ersteigert. Es misst 100,4 x 201 cm.
Nach Ende des ersten Weltkrieges schenkt Monet dem französischen Staat zwei großformatige Seerosenbilder. Sein Freund George Clemenceau will aber mehr davon und kann ihn auf acht monumentale Bilder hochhandeln. Dafür muss Clemenceau sich verpflichten, einen passenden Ort für die Preziosen bauen zu lassen und es entsteht die Orangerie in den Tuillerien mit ihren ovalen Räumen. 17 Meter Seerosen sind dort heute zu sehen, auf einen Blick gar nicht wahrnehmbar. Der Betrachter muss sich vor den Teichen bewegen, in sie eintauchen, sich zwischen Blättern und Blüten freischwimmen. Die Eröffnung 1927 bekommt Monet nicht mehr mit, er stirbt 1926.
George Clemenceau schreibt „Monet versuchte, das Licht zu packen und auf seine Leinwände zu werfen. Es war die Idee eines Besessenen. Er hätte noch zehn Jahre länger leben sollen, dann hätte wir nicht mehr von dem verstanden, was er tat; dann wäre vielleicht nichts mehr auf seinen Leinwänden gewesen“.
Christa Blenk