Michelangelo – das Jüngste Gericht zum Tode von Gianluigi Colalucci
„Terribile“ war die Meinung hoher Kirchenvertreter, als Michelangelo Buonarroti (1475-1564) 1541 das vom Medici-Papst Clemens VII in Auftrag gegebene Fresko nach jahrzehntelanger Arbeit als beendet präsentierte. Man kann davon ausgehen, dass damit nicht „schrecklich schön“ sondern einfach nur “schrecklich“ gemeint war. Michelangelo hatte praktisch alle Personen in unanständiger Nacktheit dargestellt, nur den Lenden von Christus hatte er einen transparenten Schleier gegönnt. Der päpstliche Zeremonienmeister Biago da Cesena hat, so Vasari, bei einer Vorbesichtigung lapidar festgestellt, „dass so ein Schund eher in ein Wirtshaus oder ein Badehaus passen würde“. So zimperlich waren die hohen Kirchenvertreter sonst eigentlich nicht, wenn es um Darstellungen von Blöße in der Mythologie ging. Beim Konzil von Trient wurde schließlich per Dekret festgelegt, diese Unanständigkeiten zu beheben. Kurz vor Michelangelos Tod hat also sein Schüler, Daniele de Volterra, unterstützt von einem Tross von Malern und Kunststudenten begonnen, die Anwesenden im Göttlichen Gericht wenigstens notdürftig mit Schamtüchern zu bedecken. De Volterra ist den Stempel „Unterholen-Maler“ nie wieder losgeworden. Erst bei den aufwendigen Restaurierungsarbeiten in den 1980er Jahren wurden diese hinzugefügten Stofftücher teilweise wieder entfernt – bis auf die Heiligen, die haben ihre Hosen behalten.
Und „Terribile“ war dann auch ca 450 Jahre später der Kommentar der einschlägigen Kunstpresse anlässlich der „Jahrhundert-Restaurierungsarbeiten“.
14 Jahre (von 1980-1994) hat Gianluigi Colalucci die Arbeiten in der Sixtinischen Kapelle geleitet und überwacht und unter der grau-braunen Kerzenruß- und Leimschicht des Freskenzyklus‘ leuchtendes Rot, Lapislazuli- und jede Menge Pastelltöne hervorgeholt, die man dem grandiosen Bildhauer Michelangelo so gar nicht zugetraut hätte. Die Welt der Kunstkritiker und Künstler verfolgte von Panik befallen jeden Schritt der Arbeiten. Man war an die braun-schmutzigen Farben gewohnt, die die Zeit sowie unzählige Übermalungen geschaffen hatte. Um besser zu sehen, hat Michelangelo mit einer Kerze auf seinem Hut gearbeitet. Diese dürfte schon in den Entstehungsjahren den Grundstein für die erste Patina gelegt haben. Der neue Michelangelo war zu hell, zu klar, zu flach, man sprach vom „sixtinischen Unglück“. Colalucci musste viel (kleinkarierte) Kritik einstecken und hoch geschätzte Experten verglichen das gereinigte Werk mit Disney World.
Vor zwei Tagen ist nun der Chefrestaurateur des Vatikans, Gianluigi Colalucci, 92-jährig verstorben und ist zwei Jahre älter als Michelangelo geworden.
Fast 400 Engel, Apostel, Heilige, Verdammte, Sünder und Büßer tummeln sich in heller Aufregung auf dem 1370 × 1220 cm-Fresko. Der von Matthäus prophezeite Tag des Jüngsten Gerichtes war gekommen. Im Zentrum des turbulenten Geschehens steht Christus vor einer goldenen Sonne auf einer Wolke. Nicht viel größer als die anderen ist er doch ein junger Adonis, ein starker Herkules, ein drohender Zeus, der mit seinem erhobenen linken Arm Aufmerksamkeit verlangt. Die Stigmata an den Füßen und die erschrockene, machtlose Jungfrau Maria an seiner Seite identifizieren ihn. Wie eine Aureole umrunden ihn die Heiligen, die für ihren Glauben gestorben sind. Michelangelo hat sie mit ihren Attributen ausgestattet: Petrus mit den Schlüsseln, Katharina von Alexandria mit dem gezahnten Rad, Laurentius mit einem Rost über seiner Schulter, Bartholomäus mit dem Messer, das ihm die Haut am lebendigen Leib abgezogen hat und Sebastian mit den Pfeilen. Kreuz und Martersäule in den Lünetten oben erzählen vom Leiden Christi. Michelangelos Zeitgenosse Kopernikus hatte gerade die Neuigkeit verkündet, dass die Sonne im Zentrum des Planetensystems steht und nicht die Erde und hat damit das Konzept Hölle – Erde- Himmel zum Wackeln gebracht.
Verunsichert war Rom auch nach dem Sacco di Roma, also der Plünderung Roms 1527 durch die Landsknechte von Kaiser Karl V sowie Luthers Schisma und die beginnende Gegenreformation. Das aktuelle Kirchen-Chaos hat Michelangelo auf das Jüngste Gericht übertragen, stellt aber ganz klar die Kunst über die Religion.
Gediegen und ruhig geht es in dieser göttlichen Gerichtsverhandlung nicht zu. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, denn das Urteil ist noch nicht endgültig gesprochen. Die Zweifel auf den fragenden Gesichtern sind eindeutig. Die Engel mit ihren lärmenden Posaunen weiter unten in der Mitte tragen zwei Bücher. Es fällt auf, dass das Buch der Glückseligen, die gerade vom wohlwollenden Wind nach oben gepustet werden, wesentlich dünner ist als das Buch der Verdammten. Direkt darunter blitzt das Höllenfeuer aus einem Erdloch. Frohlocken und Gejammer treffen gnadenlos aufeinander. Sobald die Armee der Engel die Verfluchten zurückdrängt, ist alle Hoffnung dahin und es geht rechts Richtung Unterwelt, wo die Dämonen die Geächteten eher unsanft direkt in den Nachen von Charon bugsieren, der sie mit seinem Ruder zum Höllenwächter Minos auf die andere Seite des Styx prügelt. Es geht zu wie in Dantes Hölle. Michelangelo hat es sich hier nicht verkneifen können, dem Höllenwächter die Gesichtszüge des vatikanischen Zeremonienmeisters Biago da Cesena zu verpassen, um sich für dessen vorschnelles, negatives Urteil und seine intellektuelle Sturheit zu rächen. Und die riesige Schlange, die hier an Minos‘ empfindlichsten Körperteilen knabbert, hat – bis zur Entfernung des Schamtüchleins durch Colalucci – auf Holz beißen müssen.
„ Meine Lenden sind mir in den Wanst gerutscht, dafür gleicht mein Rücken der Kruppe eines Pferdes“ soll er 66-jährige Michelangelo gesagt haben. Über die jahrelange Pein auf dem von ihm selbst entworfenen Gerüst hat er ein Sonett geschrieben.
1508 holt Papst Julius II den 33-jährigen talentierten Bildhauer von Florenz nach Rom. Michelangelo sollte aber nicht am Grabdenkmal für Julius weiter arbeiten, sondern bekommt den Auftrag, die Gewölbedecke der Sixtinischen Kapelle auszumalen. Michelangelo findet dieses Ansinnen zuerst befremdlich und lehnt mit der Bemerkung „er hätte nie etwas mit Farben gemacht“ ab. Als der Papst ihm aber „carte blanche“ verspricht, kann er nicht widersehen. 1512 ist das Deckengewölbe fertig. Jahrzehnte später, 1535, erhält er den Auftrag zum Jüngsten Gericht. Michelangelo arbeitet sechs Jahre daran. Im Jahre 1545 beendet er auch endlich – nach 40 Baujahren und mit ständigen Unterbrechungen – das Juliusdenkmal und wird ein Jahr später vom Farnese Papst Paul III zum Bauleiter von Sankt Peter ernannt. 1564 stirbt der große Michelangelo fast 90 jährig in Rom.
Christa Blenk