Das Tric-Trac-Spiel von Judith Leyster
„Na, gefällt es Euch“? Selbstbewusst und herausfordernd wendet die Malerin ihren Kopf weg von der Leinwand hin zum Betrachter. Sie malt ein Selfie, einen Schnappschuss von sich selber. Das halbfertige Bild des Geigers, an dem sie gerade arbeitet, ist zweitrangig. Selbstportrait (1630) ist eines ihrer bekanntesten Bilder.
Im selben Jahr malt Judith Leyster (1609-1660) „Das Tric-Trac-Spiel“, ein beliebtes und weit verbreitetes Brettspiel im 17. Jahrhundert, bei dem unterschiedlich viele Menschen mitspielen konnten.
In Leysters Bild sitzen drei Personen am Spieltisch: eine Frau und zwei Männer. Da die flackernde Ölfunzel neben der Frau steht kann man davon ausgehen, dass sie mitspielt. Ihr rotbäckiges Gesicht und die rechte Hand des Spielers ihr schräg gegenüber sind voll ausgeleuchtet. Ihre weiße Bluse ist ein Hingucker, steht im Kontrast zu dem Rost-Rot ihrer Ärmel und taucht die Szene in mildes, intimes Licht. Der schmunzelnde Mann im beigen Kostüm neben ihr blickt verträumt und nachdenklich auf seine Tric-Trac-Steine. Er neigt sich sehr weit zur Seite und es überrascht, dass sein schöner, heller Wagenrad-Hut nicht zu Boden fällt. Sowohl sein Gesicht als auch die Hand, in der es liegt, werden vom Schein der Öllampe erfasst. Verbissene Spielleidenschaft hat Judith Leyster hier nicht zum Ausdruck gebracht, eher Leichtigkeit und Vergnügen. Die Frau schiebt dem eleganten Galan gegenüber gerade eine Tonpfeife zu. Ob er sich deswegen triumphierend dem Betrachter zuwendet oder einfach nur andeutet, dass er gewinnen wird, wissen wir nicht. Seine rechte Hand jedenfalls liegt besitzergreifend auf den Spielsteinen, die andere auf seinem linken Oberschenkel. Würfel sieht man keine. Leyster gibt ihm diesen kecken Blick, den wir schon von ihrem Selbstportrait kennen. Seinem großen, schwarzen Hut schenkt sie keine besondere Aufmerksamkeit; er verliert sich im unbeleuchteten und kargen Raum. Der helle Kragen und die Öllampe legen einen harten Halbschatten auf sein Gesicht, lassen sein blau-gestreiftes Oberteil leuchten und fangen auch noch seine Pluderhose und das aufwendigen Beinkleid ein. Der linke, angewinkelte Arm der Frau liegt auf dem Tisch. Das halbvolle Glas Wein in ihrer linken Hand berührt ihren rechten Ärmel. Wein und Pfeife identifizieren sie eigentlich als Kurtisane. Ihr schlichtes Kleid, die einfache Frisur mit dem Halbschleier auf dem Hinterkopf, das nicht gepuderte Gesicht und ihre groben Hände widersprechen dem allerdings. Vielleicht hat sich die Künstlerin hier selber ins Tric-Trac-Spiel gebracht. Die schwarze Stuhllehne rahmt links das Bild ein, während die Frau einfach an der Schulter abgeschnitten wird. Rechts unten vor dem Tisch steht eine Metallkanne auf dem Steinboden. Das Lodern der Öllampe macht sie ab und zu sichtbar. Die Hauptfarben im Bild sind Braun-Graublau-Olivgrün.
Das Bild hängt im Worcester Art Museum. Leyster malt auf nur 41 x 31 cm eine grandiose und geheimnisvolle Hell-Dunkel-Komposition ganz im Sinne des Tenebrismus, der sich in den Niederlanden im 17. Jahrhundert stark verbreitet, nachdem ihn Caravaggio Jahrzehnte vorher erfunden hatte. Eine geschickte Lichtführung soll Personen oder Gegenstände aus dem Dunkel hervorheben. Die Lichtverhältnisse in verrauchten Spelunken oder dunklen Gasthäusern waren besonders geeignet.
Das Tric trac-Spiel, auch Wurfzabel genannt, ist ein Würfelbrettspiel, das im Mittelalter bekannt wurde, aber ursprünglich aus dem alten Ägypten kommt. Die Römer nannten es Tabula. Vergleichbar ist es mit dem heutigen Backgammon.
Judith Leyster, Tochter eines Braumeisters, war die bekannteste, holländische Malerin des 17. Jahrhunderts und obwohl sie ihre Werke signierte, ist eine Zuordnung schwierig. Einige Bilder wurden lange Zeit ihrem Zeitgenossen und Freund Frans Hals zugeschrieben, in dessen Werkstatt sie wohl auch tätig war. Spätere Arbeiten erschienen unter dem Namen ihres Ehemannes. Die geschäftstüchtige, mutige und talentierte Malerin spezialisierte sich auf kleinformatige Genrestücke und Alltagsszenen, ganz der damaligen Mode entsprechend.
Mit knapp 25 Jahren wurde sie in die Haarlemer Sankt Lukas Gilde aufgenommen und hatte ein eigenes Atelier mit drei Lehrlingen. Bemerkenswert für eine Frau in der von Männern dominierten Malerwelt.
Nach ihrer Hochzeit 1636 und der Geburt von fünf Kindern kümmerte sich Judith Leyster immer mehr um die Karriere ihres Künstler-Ehemannes und um die Familie. Dass sie aber nie aufgehört hat zu malen, beweist die Qualität ihrer Bilder.
Alle ihr heute eindeutig zugeschriebenen Werke stammen aus der Zeit vor ihrer Heirat, bis auf ein spätes Selbstportrait (1653), das 2016 für eine halbe Million Pfund in England versteigert wurde.
Christa Blenk