Konzertmusik opus 1 – Eine Welturaufführung von Hans Werner Henze
1943 im August war Hans-Werner Henze (1926-2012) 17 Jahre alt und hatte gerade sein Musikstudium in Braunschweig begonnen. Wie er in seinen autobiografischen Mitteilungen „Reisebilder und Böhmische Quinten“ schreibt, hatte seine Freundin Rosemarie ein von ihm komponiertes „Werkchen“ für Klavier und Cello an Professor Maler gegeben und dieser sogleich sein Talent erkannt. Rosemarie war es auch, die Hans-Werner Henze aus ihres Vaters Bücherschrank Mersmanns „Musik der Gegenwart“, zukommen ließ, in dem über all die Musik geschrieben wurde, die gerade nicht gespielt werden durfte. In dieser Zeit, 1943/1944, entstand Hans Werner Henzes kleines Kammerkonzert op. 1, „Konzertmusik“.
Am 4. Februar wurde das Stück auf BR Klassik in der Reihe „Horizonte“ als kleine Sensation unter der Leitung von Peter Tilling und dem Münchner Ensemble „risonanze erranti“ im Studio des Bayerischen Rundfunks welturaufgeführt.
Man glaubt es nicht, aber dieses mit sauberer Handschrift aufgezeichnete Jugendwerk war lange Zeit verschollen bis es plötzlich aus dem Nachlass des Geigers und langjährigen Konzertmeisters des Orchesters der Bayrischen Staatsoper in München, Kurt Stier, auftauchte. Die Witwe, Sibylle Stier, übergab es 2017 der Hans-Werner Henze Stiftung. Henze hatte es seinerzeit seinem Freund und Studienkollegen in Braunschweig Kurt Stier gewidmet. Dass es Einflüsse von Paul Hindemiths Kompositionen zeigt ist verständlich, war er doch, so schreibt Henze weiter in den „Reisebildern“ der einzige Komponist der Moderne, von dem man durch den Musikalienhändler unter dem Ladentisch etwas erwerben und somit studieren konnte. Beeindruckt war Henze in dieser Zeit auch vom Kapellmeister und Komponisten Rudolf Hartung vom Staatstheater Braunschweig, obwohl er es nicht wagte, ihm seine Konzertmusik oder andere Kompositionen im verbotenen Stil zu zeigen. Henze widmet in seinen autobiografischen Schriften diesem Jugendwerk nur ein paar Seiten und nannte es ein kleines (unsägliches) „Concerto“, als Stier ihm die Partitur Jahre später in München zeigte. Aufgeführt wurde es nie, geprobt schon, aber eher halbherzig und während einer Mittagspause im Waschsaal der Musikschule. Es war Krieg und auch die Studenten wurden nach und nach eingezogen.
Tilling ist ganz begeistert von den harmonischen und melodischen Strukturen und dem Hauch von Rest-Expressionismus in diesem Zwölf-Minuten Werk für Solo-Violine und kleines Kammerorchester, in dem er schon die Hochbegabung des jungen Henze erkennt.
Der erste Satz kommt rhythmisch und leicht-spielerisch, expressionistisch daher. Unbeschwert turnen die Töne durch den Raum, überlagern sich, schwelgen großzügig und zügellos durch die zwanziger Jahre – immer mutig vorpreschend, weil man das ja eigentlich so gar nicht komponieren durfte. Im zweiten Satz wird es nachdenklich-lyrisch, ein wenig unheilverkündend und schwermütig mit einer weinend-sehnsüchtigen Geige. Virtuos und energisch wird es im dritten Satz. Trotz einer gewissen Verwandtschaft zu Hindemith, gibt Henze hier schon einen Vorgeschmack auf seine erste Sinfonie, die gut vier Jahre später den Anfang seiner großen Musikkarriere einleitete.
Die geplanten Aufführungen in Salzburg 2020 und später an der Elbphilharmonie Hamburg konnten Corona-bedingt nicht stattfinden. Gestern spielte Michaela Girardi die Geige.
Christa Blenk