Kandinsky – Impressionen III
Wenn Bäume rot ächzen, Schnee blau rieselt und Noten in einen Heuhaufen fallen.
Wassily Kandinsky – Impressionen III (Konzert)
Eine Lohengrin-Aufführung 1895 in Moskau war ausschlaggebend für Wassily Kandinskys (1866-1944) Entscheidung, Maler zu werden. «Ich sah all meine Farben in meinem Kopf, sie waren alle vor meinem Auge; wilde Linien sprangen vor mir her». Kandinsky konnte Farben hören. Im selben Jahr besuchte er eine Ausstellung von Claude Monet und war gleichermaßen fasziniert und verunsichert von einem Heuhaufen, den er nur als solchen erkennen konnte, weil es so im Katalog stand. Ein Jahr später kam Kandinsky in die Kunststadt München an, um bei Franz Stuck zu lernen, dessen Farbunempfindlichkeit ihn aber irritierte. Gemeinsam mit Gabriele Münter kaufte er ein paar Jahre später ein Haus in Murnau und malte mit Leidenschaft bayerische, fauvistische Landschaften, die sich immer mehr vom Realismus und der Zentralperspektive entfernten und sich peu à peu Form und Farbe zuwandten. In dem 1910 veröffentlichten Grundsatzaufsatz „Über das Geistige in der Kunst“ ordnet er bestimmten Farben Instrumente oder Töne zu und stellt damit die Malerei auf das Niveau der Musik, die für ihn die Kunst mit dem größten Abstraktionsgehalt darstellt. Ohne Musik wäre wahrscheinlich die von ihm angestrebte und vorangetriebene Formauflösung so gar nicht möglich gewesen. So wundert es auch nicht, dass es wieder ein Konzertbesuch war, der letztendlich der Auslöser für seine abstrakten Kompositionen werden würde. Das Konzert fand im Januar 1911 in München statt und auf dem Programm standen Arnold Schönbergs Streichquartett op. 19 und seine drei Klavierstücke op 11. Kandinsky war nach dem Konzert dermaßen begeistert, dass er Kontakt zu Schönberg aufnahm, der sich in diesen Jahren die Malerei für sich entdeckte und zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, dass er im Dezember 1911 seine autodidaktischen Zeichnungen in der Ausstellung „Der Blaue Reiter“ zeigen würde. Es gingen ein paar Briefe zwischen Berlin und Murnau hin und her, bis es im September 1911 schließlich zu einem Treffen zwischen Schönberg und Kandinsky in Bayern kam. Noch im selben Jahr entstand der Farbholzschnitt Lyrisches, ein defragmentierter Reiter, und – als direktes Ergebnis seines akustischen Konzerterlebnisses – das Bild Impressionen III (Konzert), eines der ersten abstrakten Gemälde überhaupt.
Der Blick fällt von oben auf Zuschauerraum und Bühne. Die Hauptfarben im Bild sind Gelb-Schwarz-Weiß-Rot. Kandinsky dürfte im 2. Rang Mitte rechts gesessen haben. Unter ihm, im ersten Rang, am rechten unteren Bildrand, deuten dunkle Flecken auf elegant gekleidete Zuhörer hin. Das Publikum im Parkett setzt sich aus bunten, schräg aneinander gereihten Farbflächen zusammen, die fast in die Riesenfinger kriechen wollen, die auf den weißen Tasten liegen. Kandinsky dürfte hier vor allem seine eigene Begeisterung gemalt haben, denn er hat sich später über die Unaufmerksamkeit des unruhigen und überforderten Publikums beschwert. Die nach rechts gebeugten Personen bilden in der Verlängerung hin zum sonnengelben Feld eine dynamische Diagonale. Eingerahmt ist das Klavier von zwei weißen Tonsäulen. Auf den vorbereitenden Zeichnungen waren Flügel und Besucher besser zu erkennen. Hier bleibt nur noch der wuchtige, schwarze Klavierdeckel übrig, der schwerelos vor der Zuhörerschaft zu schweben scheint. Geschichten können abstrakte Bilder nicht mehr erzählen und dem Betrachter nehmen sie die Möglichkeit, welche zu erfinden. In dem Bild Impressionen III (Konzert), das im Münchner Lenbachhaus hängt und 78 x 100 cm misst, wiederholt sich für den Betrachter Kandinskys Moskauer Heuhaufen-Erlebnis: Wir wissen auch nur, dass er eine Konzertaufführung gemalt hat, weil diese der Auslöser für das Bild war.
1912 entsteht Kandinskys abstrakter Entwurf für die synästhetische Bühnenkomposition „Der Gelbe Klang“. Darin sollten sich Farbe, Klang, Licht, Tanz und Musik zu einem poetischen Gesamtkunstwerk vereinen. Die Musik dazu komponiert sein Freund Thomas de Hartmann. Eine geplante Aufführung fällt dem Ersten Weltkrieg zum Opfer und bis zu seinem Tod kommt es zu keiner Realisierung dieses Projektes. Laut Aussagen von Nina Kandinsky hat Alfred Schnittke das Werk erstmals 1975 anlässlich der dritten Musikfesttage in La Sainte-Baume mit Musik inszeniert.
Der Erste Weltkrieg trennt die beiden Freunde. Kandinsky geht in die Schweiz und später nach Moskau und Schönberg wird 1917 noch eingezogen. Erst in den 1920er Jahren treffen sich die beiden Seelenverwandten wieder. Kandinsky will Schönberg für die Leitung der Weimarer Musikhochschule gewinnen. Soweit kommt es aber nicht. Eine Intrige der Gropius-Gattin Alma Mahler zerstört die Freundschaft. Am Bauhaus wird die Farbe mit den Jahren ihre Hauptrolle an geometrische Formen abgeben.
Der intellektuelle Maler, Theoretiker und Bauhaus-Lehrer Wassily Kandinsky initiiert die Transition von der gegenständlichen zur nicht gegenständlichen Malerei, lässt aber beide Stile neben einander gelten und bestehen. 1933 wird das Bauhaus geschlossen und Kandinsky geht mit seiner Frau Nina nach Paris, wo er mit der abstrakten Malerei zuerst auf Erfolg warten muss, denn die Franzosen sind immer noch zu sehr auf Kubismus und Surrealismus fixiert. 1937 werden seine Werke in der Ausstellung Entartete Kunst in München gezeigt. Bis zu seinem Tod 1944 malt Kandinsky jeden Tag. Die erste Kasseler documenta stellt einige seiner Werke posthum aus.
Christa Blenk