Mural – Jackson Pollock
Als Peggy Guggenheim 1941 mit großer Presse in New York ankam, hatte sie nicht nur Max Ernst im Gepäck sondern auch eine beachtliche Sammlung der europäischen Avantgarde, darunter Werke von Brancusi, Picasso, Mondrian, Giacometti, Dalí und Chagall. Zwanzig Jahre stürmisches und leidenschaftliches Leben für Kunst und Liebe in Europa (vor allem in Paris) und die notwendigen Dollars – mit ihrer Volljährigkeit 1919 konnte sie über das beachtliche Erbe ihres 1912 auf der Titanic umgekommenen Vaters verfügen – haben es ihr ermöglicht, eine außergewöhnliche Kunstsammlung auf die Beine zu stellen. Samuel Becket, kurzzeitig einer ihrer vielen Liebhaber, hatte sie Ende der 1930er Jahre überredet, auch zeitgenössische Werke zu kaufen. Ab 1940 unterstützte Peggy Guggenheim ein Hilfskomitee in Marseille, das Künstler und Intellektuelle auf der Flucht aus dem Vichy Regime unterstützte. Der amerikanische Industrielle, Kunstsammler und Gründer der Solomon R. Guggenheim Foundation war übrigens ihr Onkel.
Die Kunstsammlerin und Mäzenin Guggenheim erwarb ein New Yorker Townhouse und eröffnete 1943 ihre Galerie „Art oft he Century“. Kurz darauf nahm sie den damals noch relativ unbekannten Maler Jackson Pollock (1912-1956) unter Vertrag und zahlte ihm ein Festgehalt von 150 US Dollar im Monat. Bei ihm gab sie auch ein abstrakt expressionistisches Bild in Auftrag und Pollock malte sein größtes Werk überhaupt.
„Mural“ sollte ursprünglich direkt an die Wand im Eingangsbereich ihres Hauses gepinselt werden. Angeblich hat Marcel Duchamps Pollock davon überzeugt, lieber eine 6 x 2,5 Meter große Leinwand zu bemalen. Laut einer Geschichte von der Geschichtenerzählerin Peggy Guggenheim hat ihr Schützling monatelang und immer mehr von Depressionen heimgesucht auf die leere Leinwand gestarrt. In der Nacht vor dem Abgabetermin soll er dann mit einem Farbspritzer den Schaffungsprozess in Gang gebracht und angeblich in ein paar Stunden und in einem rhythmischen Farbentanz das Bild fertig gestellt haben. Rasch und energiegeladen schleuderte er die vier Hauptfarben auf die Leinwand und so entstand dieses aleatorisch-dynamische Baumgestrüpp-Labyrinth zwischen Piktogrammen einer prähistorischen Höhlenmalerei und kalligraphischen Formen. Sein Werkzeug waren Stöcke, dicke Pinsel, der eigene Körper oder direkt der umgekippte Farbeimer. So etwas kannte die New Yorker Kunstszene bis dato nicht und tat sich anfangs schwer mit diesem neuen abstrakten Expressionismus. Der Kunstkritiker Clement Greenberg hingegen war begeistert. Zum Star der Guggenheim-Galerie wurde Pollock allerdings erst mit seinen Drip Paintings, auf die er sich nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte und die ihm den Namen Jack the Dripper einbrachten. Obwohl Max Ernst die Technik schon früher einsetzte und entwickelt hatte, wurde sie erst durch Pollock bekannt. Wie Schwitters Merzbilder, sind auch Pollocks Drip Paintings durchnummeriert. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Künstler endgültig von Picassos Guernica-Einfluss befreit. Auch die Surrealisten rückten weit weg.
Diese großformatigen Bilder stellten das konventionelle Raumkonzept auf den Kopf und sprengten die bis dahin gekannten Formate. Nur die Historienmalerei im 19. Jahrhundert passierte auf so viel Fläche. Pollock war nicht der einzige, aber der erste Künstler, der sich mit diesen exorbitanten Riesen-Leinwänden einließ. Er nagelte sie auf den Fußboden und machte diesen damit zur Staffelei. Von allen Seiten begehbar sollte die Leinwand sein, eine Technik, die die Indianer im Westen bei ihren Sandmalereien praktizierten. Pollock spielte mit einem manipulierten Zufall und ließ es einfach passieren. Der Kontrollverlust stellte sich ein, sobald er im Bild „drin“ war. Die Leinwand war seine Arena. So geht Action Painting!
Als Peggy Guggenheim 1947 wieder nach Europa, ging um sich in Venedig nieder zu lassen, hinterließ sie Mural der Universität von Iowa. Erst 2012, anlässlich einer ausgiebigen Restaurierung durch das Ghetty Museum, wurde Peggy Guggenheims romantische Galeristen-Geschichte widerlegt. Die unterschiedlichen Farbschichten, die immer wieder zwischendurch trocknen mussten, konnten unmöglich in ein paar Stunden aufgetragen worden sein. In Venedig zeigte Guggenheim 1948 auf der Biennale ihre Sammlung mit sechs Werken von Jackson Pollock, der daraufhin auch in Europa zum Star wurde. Bis zu einer Einzelausstellung in Paris sollte es aber noch etwas dauern.
Der unausgeglichene und geniale Jackson Pollock, der auch aufgrund seines ausschweifenden Lebenswandels schon zu Lebzeiten zur Ikone wird, studiert in Los Angeles und geht 1930 nach New York. Sein Leben lang interessiert er sich für die großflächige Wandmalerei. Ständig schlägt er sich mit Alkoholproblemen herum und als in den USA die Prohibition aufgehoben wird, begibt er sich zum ersten Mal in Behandlung. 1940 lernt er die Künstlerin Lee Krasner kennen. Sie muss sich entscheiden zwischen ihm und der Malerei und wird seine Managerin. Die Panik, von anderen Vertretern des abstrakten Expressionismus vom Podest gestoßen zu werden, lässt ihn wieder zum Alkohol greifen. Der von ihm verursachte Autounfall 1956 ist auch den Promillen in seinem Blut geschuldet. Pollock, 44- jährig, kommt dabei ums Leben. Eine andere Beifahrerin ist sofort tot, seine Geliebte Ruth Kligman schwer verletzt.
Die zwei wichtigsten Frauen in seinem Leben, Peggy Guggenheim und Lee Krasner, weilen zum Zeitpunkt des Unfalles in Europa.
Christa Blenk