Der Schmied von Gent
Für die Hölle zu schlecht und nicht gut genug für den Himmel
Der Genter Schmied Smee ist ein charmantes Schlitzohr, das immer wieder auf die Beine fällt, aber er ist kein böser Mensch. Als seine Schmiede vor dem Ruin steht und ihm nur noch der Tod bleibt, schließ er mit dem Teufel einen Faust-Pakt. Sieben Jahre Reichtum für seine Seele. Er signiert das schwarze Papier und siehe da, Arbeit, Angestellte und Wohlstand kehren zurück. Nacheinander werden Waffen über die Bühne getragen, ein Modell des Königspalastes und ein Portrait von Lumumba. Ob die Waffen aussagen sollen, dass er mit deren Handel reicht wird oder dass damit der Belgische Kongo in Schach gehalten werden soll, bleibt dem Betrachter überlassen.
Plötzlich sind die sieben Jahre um. Wo ist nur die Zeit geblieben, singt er in naturalistisch-philosophischer Manier. Da trifft es sich gut, dass gerade in diesem Moment die Heilige Familie bei ihm vorbeikommt. Smeet und seine Frau kümmern sich um Joseph, Maria, Kind und Esel und der Hl. Familienvater gewährt ihm drei Wünsche. Smee sieht hier seine Chance, dem Teufelspakt zu entkommen und äußert auf den ersten Blick drei seltsame, aber listige, Bitten. Der erste Teufel bleibt im Pflaumenbaum kleben. Der Zweite, der den Namen des spanischen Blutherzogs „Duque de Alba“ trägt, kommt aus Smees Lieblingssessel nicht mehr heraus und muss alle Prügel für die Schandtaten der Spanier in den Niederlanden einstecken. Die dritte Teufelin ist Astarte und ihr Schicksal ist ein Jutesack, aus dem sie sich nicht befreien kann. Sie ist vor allem sauer, weil sie zwischen sich und Smee Gefühle vermutete. Glücklich geht der zweite Akt zu Ende. Im letzten Akt sitzt der nun alt gewordene Smee in seinem Thronsessel vor dem Palast. Er trägt einen langen weißen Bart und stirbt. Als Toter zieht er sich die Uniform des belgischen Kolonialkönigs Leopold II an und hört sich im Radio – mit Gesten protestierend – die Unabhängigkeitsrede 1960 von Patrice Lumumba im Originalton an. Kaum ist die Ansprache vorbei hat Smee bzw. Leopold II ein weiteres Problem, denn weder Hölle noch Himmel wollen ihn haben. Kurzerhand eröffnet er einen belgischen Waffelstand (nein, keine Fritten) und lässt mit dem Geld aus dem Jutesack direkt vor der Himmelspforte Café-Tische aufstellen. So verbindet er wieder Gutes mit Lukrativem. Nun scheint in Gent das große Aussterben loszugehen, denn nacheinander kommen sie Alle an und Smee bietet seine Waffeln an. Sein treuer Geselle Flipke, sein ehemaliger Feind Slimbroek und seine Frau. Versteckt unter ihrem Rock macht Smee einen letzten Versuch, durch die Himmelspforte zu gelangen aber Petrus ist zwar alt aber nicht doof und hört und sieht alles. Als letzten Joker bleibt nun noch Joseph. Man möge ihn holen, vielleicht kann er ja ein gutes Wort für ihn einlegen. Joseph erscheint und wiegt Smees gute und schlechte Taten gegeneinander auf und – wie soll es anderes sein in dieser Volksoper – das Gute überwiegt und dem Himmel steht nun nichts mehr im Wege. Mit königlich-wohlwollenden Gesten und einem Alleluja mit Gloria in excelsis Deo von Chor und Orchester betritt er schließlich am Arm seiner Frau glücklich das Paradies.
Fantasievolle, bunte, afrikanisch anmutende Kostüme, turmhohe Hüte, Reifröcke, keusche Hauben, ein Riesendrache, Tore und Häuser einer flämischen Stadt auf der Drehbühne. Nur die Heilige Familie zeigt sich in minimalistischen Sandfarben. Feuerrot sind männliche und weibliche Puppentheater-Teufel. Smees (Leigh Melrose) weißes Kostüm ist rot eingefasst. Der Schmiedegeselle und Vertraute Flipke (wunderbar Daniel Arnaldos) kommt als eine Art Conchita Wurst in grau-braun daher. Der Feind von Smee, der Neidhammel und Verräter Slimbroek (Michael J. Scott), ist in religiöses Lila gekleidet und trägt einen Zylinder. Die Spanier in schwarz mit lächerlichen Stöckelschuhen. Die sensuelle, animalische Teufelin und Deus ex machina (die Rolle ist Vuvu Mpofu mit ihrem hellen Sopran auf den Leib geschrieben) verkörpert afrikanischen Voudou mit Pünktchenkleid und langen roten Hörnern. Sie wird von Urwaldgeräuschen begleitet und ist auch anwesend, wenn sie grad nichts zu sagen hat. Und es ist auch sie, die ganz zum Schluss Leopold II den Bart herunterreißt und ihn wieder zu Smee werden lässt. Die junge Bühnenbildnerin Josa Marx war ja nicht umsonst Praktikantin bei Vivienne Westwood.
Archaische Klänge für die Heilige Familie und Hollywood-Filmmusik für die Himmelsszenen. Slimbroek hat Schönbergsche Tonreihen und Smee hat alles, sogar kitschige Operettenschnulzen, wenn er der Zeit nachtrauert. Opulente Orchesterzwischenspiele und großartige Chorpassagen. Zarter Impressionismus, Spätromantik, Neue Sachlichkeit und Kurt Weil, dann ein wenig Swing und es fehlte eigentlich nur noch ein Stepdance von Fred Astaire.
Alejo Pérez am Pult vor dem sehr guten Sinfonieorchester Flandern . Er lässt sich von der Farbenpracht nicht ablenken und modelliert die Kammermusik-Passagen zart und transparent, das Volkslied einfach und schlicht, um dann wieder mit Pauken und Trompeten in die Vollen zu gehen. Auch Chor und Ballett der Flämischen Oper verdienen viel Lob.
Der Regisseur Ersan Mondtag hat das Stück sehr politisch inszeniert und den Belgiern elegant und doch direkt ihre dunkle Kolonialgeschichte aufs Brot geschmiert. Basierend auf der Erzählung „Smetse Smee“ von Charles de Coster im 19. Jahrhundert – damals zählte die junge belgische Erbmonarchie gerade mal 30 Jahre – hat Schreker das Libretto verfasst. Costers Geschichte spielt im 16. Jahrhundert zur Zeit der spanischen Unterdrückung und Tyrannei durch Philipp II, vertreten durch den grausamen Duque de Alba. Die Geusenpartei, zu der Smee gehört, ist so etwas wie die Resistance. Der Korb voller abgehackter Hände im dritten Akt geht vielleicht auf die Geschichte des Namens von Antwerpen (Hand werfen) zurück, aber man sagt auch, das der Statthalter in Leopoldsville (heute Kinshasa) Hände abhacken ließ, wenn der Kautschukertrag nicht zufriedenstellend ausfiel.
Die Oper wurde 1932 in Berlin uraufgeführt, musste aber aufgrund von Protesten der Völkischen nach fünf Aufführungen abgesetzt werden. Schreker war Halbjude und wurde kurz darauf von seinem Posten als Professor für Komposition an der Musikhochschule Berlin entlassen. Der Schmied von Gent ist ein musikalisches cross-over und sein letzte Oper, die er selber Zauberoper nannte. Sie entstand in einer politisch- und wirtschaftlichen Instabilität am Ende der Weimarer Republik, die mit der Machtübernahme der NSDAP und der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 endete. Mondtag hat diese Vielseitigkeit von Musik und Geschichte wunderbar umgesetzt.
Leigh Melrose ist der abwechslungsreichen Smee-Rolle mehr als gewachsen. Mit großer Beweglichkeit fängt er alle Situationen auf und bringt viel Komik auf die Bühne, in dem er immer wieder das Publikum mit einbezieht. Seine Frau ist Kai Rüütel, sie singt sehr textverständlich und verkörpert mit ihrem sanften Mezzo die fromme, angepasste Frau.
Schneidig-rasanter, knalliger Opernabend, der während der zehnminütigen Lumumba-Rede sogar die Huster ruhig stellt aber dann gleich wieder den Weg zur Burleske findet.
Franz Schreker war Anfang des 20. Jahrhunderts ein viel gespielter Komponist auf deutsch-sprachigen Bühnen. Der Musikkritiker Paul Bekker nannte ihn sogar den einzig legitimen Nachfahren Wagners. Nach seiner Entlassung als Kompositionslehrer in Berlin und seinem Tod 1934 geriet er in Vergessenheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg war seine Musik nicht mehr aktuell und von wirkte wie von gestern.
« Ich bin Impressionist, Expressionist, Internationalist, Futurist, musikalischer Verist: Jude und durch die Macht des Judentums emporgekommen, Christ und von einer katholischen Clique unter Patronanz einer erzkatholische Wiener Fürstin « gemacht » worden. Ich bin Klangkünstler, Klangphantast, Klangzauberer, Klangästhet und habe keine Spur von Melodie (abgesehen von sogenannten kurzatmigen Floskeln, neuestens „Melodielein“ genannt). Ich bin Melodiker von reinstem Geblüt, als Harmoniker aber anämisch, pervers, trotzdem ein Vollblutmusiker! Ich bin (leider) Erotomane und wirke verderblich auf das deutsche Publikum“. Franz Schreker (1878-1934) veröffentlichte diese ironische Selbstdarstellung 1921, auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Zu diesem Zeitpunkt war er 43 Jahre alt und lebte bereits in Berlin.
Bis zum 11. Februar wird „Der Schmied von Gent“ in Antwerpen aufgeführt, danach geht die Gemeinschaftsproduktion nach Gent weiter, wo die Oper ab dem 21. Februar noch fünfmal aufgeführt werden wird.
Christa Blenk