Degas in der Oper
Chronist der Schmerzen
Die Tänzerin dominiert die komplette linke Seite des Bildes. Sie übt wohl gerade eine Tanzpose. Die Zehenspitzen des leicht angewinkelten Spielbeins berühren den Boden; das Standbein ruht fest und sicher auf dem leicht nach vorne abfallenden Plankenbogen (Degas hat hier die Perspektive vernachlässigt). Ihre Arme über dem Kopf kündigen eine Pirouette an. Kleid und Schuhe sind rosarot. Um den Hals trägt sie ein schwarzes Samtband. Ihr Gesicht ist anonym und ernst. Im Hintergrund geben große Atelierfenster den Blick auf Paris frei. Rechts im Bild sind Vorhänge zu sehen, die aber nicht zugezogen sind. Der Titel „Danseuse posant chez un photographe“ verrät, dass sie gerade für einen Fotografen posiert. Das Foto ist aufgrund der Gegenlichtsituation sicher nichts geworden. Degas ignoriert dies komplett. Das Bild entstand 1874, misst 65 x 50 cm und ist aus dem Moskauer Pouschkin Museum nach Paris gekommen.
Edgar Degas (1834-1917) liebte die Oper und alles was damit zusammenhing. Eine Vorliebe, die er in die Wiege gelegt bekam. Aus einer wohlhabenden Familie stammend, war es vor allem sein Vater, der sich die Musik in Form von Hauskonzerten ins Wohnzimmer geholt hat. Seine Schwester war eine ziemlich gute Sängerin.
Der Tod seines Vater um 1870 hat seine finanzielle Situation verschlechtert und Degas war ab diesem Zeitpunkt auf den Verkauf seiner Bilder angewiesen. In dieser Zeit fing er auch an – beeinflusst durch die noch junge Fotografie – sich mit der Bewegung generell auseinander zu setzen. Und als er in den 1880er Jahre ein sogenannter „Abonné“ wurde und dreimal pro Woche in die Oper gehen und hinter die Kulissen blicken durfte, wurden die Tänzerinnen und ihre mannigfaltigen Bewegungen und Handlungen zu einer Obsession. Vor allem malte Degas auch die Kehrseite von Ruhm und Erfolg. Er dokumentiert die Schmerzen der jungen Tänzerinnen, die sich in einer kurzen Pause die zerschundenen Beine und Füße massieren, die Bänder der Schuhe festzerren oder sich erschöpft irgendwo anlehnen. Meist gesichtslos und irgendwie schwermütig. Er malte den Kampf zum Erfolg und schaffte hier so etwas wie die aktuelle Me-too-Debatte. Wollten die jungen Tänzerinnen Erfolg haben und aus ihren Milieus ausbrechen, mussten sie sich unter Umständen auch prostituieren. Oft reichte nur harte Arbeit nicht aus. Seine Bilder sprechen kritiklos davon. Mit einer gnadenlosen Wißbegier begleitet vom Eifer, die Bewegungsabläufe ähnlich der Fotografie, immer wieder von anderen Perspektiven zu beleuchten, wird er zum Forscher und malt Schnappschüsse. Auf einem Bild werden die Köpfe einfach abgeschnitten, auf dem anderen sind es die Beine oder ein Körper bewegt sich so nah am Rand der Leinwand, dass nur die Hälfte davon auszumachen ist. Betrachtet man die Bilder ab den 1880er Jahren länger, verlieren sie die tänzerische Leichtigkeit des Ruhmes. Die schwarzen Fracks der Bewunderer der Tänzerinnen stehen im krassen Gegensatz zu den weißen Spitzen-Tutus der Tänzerinnen. Manchmal hat er sich auch selber auf die Bühne gemalt. Zwischen Chronik und Voyeurismus spielt sich seine kleine Opern-Welt vor und hinter den Kulissen ab. Degas beobachtet das Künstlerleben und hält es zuerst in Skizzen fest, die zuhause im Atelier zu Bildern, Pastellen oder Öl werden.
In seinen Anfangsjahren erntete Degas Kritik für seine Arbeiten, die sich irgendwo zwischen Klassik und Impressionismus bewegten. Er wurde aber später einer der Maler, die ihre Bilder am teuersten verkauften konnten. Das Werk „Danseuses à la barre“ (1912) wird zu einem für damalige Pariser Verhältnisse zu einem Rekordpreis verkauft.
Die sehr gut aufgebaute Pariser Ausstellung im Musée d’Orsay hat mit dieser Werkschau „Degas dans l’Opera“ die Musik- und Opernbilder seiner Malerei in den Mittelpunkt gestellt. Modelle von Opernhäuser stehen zwischen den Gemälden und lassen auch den Betrachter in die Innereien der Oper eindringen. Im ersten Raum nimmt er den Orchestergraben ins Visier. Angestrengt an Geigen, Celli oder Flöten, leiden die Musiker unter der stickigen Luft, dem Platzmangel im Orchestergraben und dem zu engen Frack. Auf diesen Bildern sieht man nur die Beine der Ballett-Tänzerinnen auf der Bühne.
Während man durch die Säle flaniert, hört man seine Lieblingsopern mit den damals bekannten Sängerinnen. Vor allem französische Kompositionen wie Meyerbeers „Robert Le Diable“, das er in der Zeit zwischen 1885 und 1892 sechs Mal gesehen hat (insgesamt wurde das Werk 700 Mal aufgeführt) oder „Sigurd“ von Ernest Reyer, eine Aufführung, die er 37 mal besucht hat; das war in der Zeit in der er „Abonné“ war. Nachdem die Oper in der Rue Le Peletier abbrannte, wurde die Garnier-Oper gebaut und er musste seinen Arbeitsplatz verlagern.
Methodisch kopierte Degas die alten Meister. Berichterstatter der Belle Epoque, der Prostituierten, Absinthtrinker und Tänzerinnen und der Rennbahnen. Picknicks und Seerosen standen nicht auf seinem Menü. Die Fotografie war für ihn von großer Bedeutung, die Phasenfotografie von Eadward Muybridge faszinierte ihn. Und so tanzt er mit seinen Bildern immer aus der impressionistischen Reihe.
Die in sich gekehrte, knapp einen Meter hohe 14-jährige Tänzerin aus Wachs ist auch in der Ausstellung zu sehen. Sein bildhauerisches Hauptwerk überhaupt und eine der teuersten Skulpturen. Er wollte sie ursprünglich nicht in Bronze gießen. 1881 wurde sie in der Pariser Ausstellung der Impressionisten gezeigt und hat starke Emotionen und einen Skandal hervorgerufen. Selbstsicher und älter ihr Gesichtsausdruck. Die ursprüngliche Figur war bemalt, hatte Haare, trug ein kurzes Kleid und Ballettschuhen. Ausgestellt ist hier die Bronzeskulptur aus dem Musée d’Orsay mit Tutu, Mieder und Tüll.
Man weiß wenig über persönliche Beziehungen. Er war ein Einzelgänger und auch kein besonders sympathischer Zeitgenosse. Bei der Dreyfuß-Affäre outete er sich als Antisemit und hat es sich so mit fast allen Freunden und Malerfreunden verscherzt. Er verstarb, fast blind, ziemlich allein gelassen.
Ein Opernabend im 19. Jahrhundert hat nicht viel mit einem heutzutage gemeinsam. Das Publikum hatte hier sehr viele Wörter mitzureden. Eine Oper musste eine bestimmte Länge haben, sollte unbedingt - immer zur gleichen Zeit – eine Balletteinlage bieten (damit die High Society aus dem Jockey-Club Zeit hatte, ihr Abendessen dort vorher einzunehmen – denn diese kam nur, um die Ballettmädchen zu sehen). Die letzte Straßenbahn sollte berücksichtigen werden oder – wie in Wien – musste eine Aufführung um 22.00 Uhr zu Ende sein, damit man zuhause war, bevor der Nachtwächter oder Pförtner die Tore verschloss. Der erste Akt durfte keine wichtigen Szenen oder Arien enthalten etc. etc. Wer sich nicht daran hielt, brauchte keinen Erfolg zu erwarten (Wagner konnte davon ein Lied singen). Sein « Tannhäuser » fiel bei der Premiere durch und wurde nach vier Aufführungen abgesetzt. Wagners Eitelkeit und auch sein Perfektionismus verboten es ihm, den obligatorischen Ballett-Akt um 22.00 Uhr einzubauen. Wagners Balletteinlage fand schon im ersten Akt statt und er sorgte auch noch dafür, dass der Club davon erfuhr. Tödlich für ihn, denn der Jockey Club (der nicht unbedingt zur kulturellen Oberschicht gehörte) rächte sich bitterlich und die Oper wurde ausgepfiffen. Wagner sollte das später korrigieren und der Erfolg stellte sich dann auch ein, zumal die echten Kenner nie an der Qualität gezweifelt hatten. Zu diesem Zeitpunkt hörte Degas allerdings auf, in die Oper zu gehen. Eine Oper die also in Paris funktionierte, musste für Wien oder London umgeschrieben werden und war auch dann nicht sicher, umjubelt zu werden.
Rund 200 Exponate hat die Kuratorin Marine Kisiel für die Ausstellung „Degas in der Oper“ im Pariser Musée d’Orsay versammelt. Bilder, Zeichnungen und Skulpturen aus dem großen Bestand des Musée d’Orsay aber auch aus vielen US-amerikanischen Museen.
Die interessante Ausstellung Degas in der Oper ist noch bis zum 19. Januar 2020 in Paris zu sehen.
Christa Blenk
16.01.2020