Art Nouveau in Brüssel
Zwischen Ästen und Tomaten oder als die Architektur blühen lernte
Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts kam die europäische Architektur in Bewegung und ihre Baumeister gingen wieder weg von nüchternen Maschinen der Industrialisierung. In Wien entstand die Wiener Secession. Der Modernismus in Katalonien brachte Gaudí-Bauten wie den Park Güell hervor, die Bewegung Arts and Craft in England machte das Kunsthandwerk wieder salonfähig und in Frankreich war es die Ecole de Nancy, dort schlossen sich (außerhalb von Paris) 1901 die führenden Vertreter der französischen Art Nouveau-Bewegungen zusammen. Ihr Erkennungszeichen war das Ginkgo-Blatt oder die Libelle. In den USA wirkte u.a. der Architekt Frank Lloyd Wright und Louis Comfort Tiffany erfand eine neue Glastechnik. Der Jugendstil in Deutschland ist aus lokalen Bewegungen über das Land verstreut entstanden. Die Italiener nannten den Stil Liberty. Aber auch andere westliche Länder wurden von den unterschiedlichen Jugendstil-Bewegungen beeinflusst. In der belgischen Hauptstadt findet man fast in allen Gemeinden immer noch wunderbare Jugendstilgebäude und um Brüssel hauptsächlich geht es auch hier.
Unter Fin de Siécle oder Dekadentismus kann diese Rückkehr zur spielerischen Romantik zusammengefasst werden, die direkt vom Futurismus oder von Art Deko abgelöst wurde. Die Zeit zwischen 1890 und 1910 gilt als Blütezeit der Jugendstil-Bewegung. Ihr Vorbild war die Natur.
Der interessierte Brüssel-Besucher muss sich deshalb unbedingt von der Grand Place wegbewegen, denn die schönsten Häuser sind über die Stadt verstreut, in den Gemeinden St. Gilles, Ixelles, Schaerbeek aber auch im Europaviertel findet man sie. Der bekannteste Architekt in der belgischen Hauptstadt war Victor Horta. Mit seinen Kollegen Paul Hankar, Paul Cauchie und Ernest Blérot schafften sie nicht weg zu denkende Ikonen des belgischen Jugendstils. Der belgische Designer und Architekt Henry van den Velde arbeitete vor allem in Deutschland und war um die Jahrhundertwende Leiter der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule in Weimar.
Eine rabiate Abrissserie in den 1970er Jahren in Brüssel hat vor einigen Gebäuden nicht Halt gemacht und das Europaviertel in ein gnadenloses Architekturchaos aus Glas und Beton verwandelt, das von rasenden Boulevards wie der Rue de la Loi dominiert und unterbrochen wird. Allerdings haben es viele Jugendstilhäuser heute auf die UNESCO Weltkulturerbeliste geschafft, was einer Rettung gleichkommt.
Nach der industriellen Revolution Ende des 19. Jahrhunderts wollte man wieder weg von Metall und Glas, lieblich und schön sollten die Privathäuser sein. Flora und Fauna waren angesagt und die Inspirationsquellen von Architekten und Künstlern waren Pflanzen, die sich eine Hauswand hochschlängeln, schwungvolles Blattwerk, verwinkelte Äste und knorrige Zweige. Weitere Zutaten waren Hufeisenfenster, warmes Holz und ockergelbe Wände, bauchige Fassaden, buntes Glas, Erker, Sandstein, konkave Formen, verschlungene Linien, verschnörkelte Balkone, Kunstschmiedearbeiten. Im Musée Horta ist fast alles zu sehen.
Hier die Gebäude und Häuser in Brüssel, die man nicht verpassen sollte.
Angefangen natürlich beim Musée Horta in Ixelles, das auf den ersten Blick fast bescheiden wirkt mit seinen ockerfarbenen Balkonen und Türen. Erbaut um die Jahrhundertwende. Sehenswert sind weiterhin das Maison Autrique, Hortas erstes Werk im Brüsseler Viertel Schaerbeek. In der Avenue Louise liegt das Hôtel Solvay und das nüchterne Hotel Max Hallet. Das Hôtel Van Eetvelde am Square Marie-Louise und ein anderes am Square Ambiorix sowie das Hôtel Tassel. Die meisten sind Weltkulturerbe und einige auch zu besichtigen. Ausgesprochen schön das heutige Musikinstrumenten-Museum im Zentrum und das Hôtel Ciamberiani von Paul Hankar. Es entstand 1897 als Auftragswerk für den Maler Ciamberiani in Ixelles. Der Konzertsaal Henri Le Boeuf im Palais des Beaux Art und die Heimat von Tim und Struppi, das belgische Comic Zentrum , ebenfalls erbaut von Victor Horta im Jahre 1906 . Das Palais Stoclet wurde von den Architekten Josef Hoffmann und Gustav Klimp in Stil der Wiener Secession in Brüssel-Woluwe Saint Pierre ab 1905 gebaut.
Christa Blenk
05.05.2020