Les Contes d’Hoffmann an der Monnaie
Radio Days und eine Oscar-Verleihung
Hoffmanns Erzählungen bringt – wie alle Opern – viele Gesichter und Interpretationen, das geht vom Reich der Schatten und der Untoten in ein vom Teufel zerstörtes, ausgebranntes Theater, einen Probenraum und eine Opernkantine oder direkt auf die Straße. Marthaler hat die Geschichte im Madrider Circolo de Bellas Artes spielen lassen. In die Welt des 1950er Jahre Kinos wurde es m.E. noch nicht verlegt.
Unser Hoffmann oder wer auch immer er gerade ist, kommt in Boxershorts und Unterhemd auf die Bühne. Er scheint erkältet zu sein, denn überall liegen benutzte Papiertaschentücher auf dem Boden. Er wischt seinen Schreibtisch ab und setzt sich. Er spricht Englisch, im Hintergrund läuft ein Video. Sind wir hier im falschen Film gelandet? Nein, Hoffmann oder der Regisseur veranstaltet gerade ein Casting, um für die Kinoproduktion „Hoffmanns Erzählungen“ die besten Darsteller auszusuchen.
(Die Werk-Einführung vor der Aufführung hat uns gelehrt, dass wir hier Lady Gaga auf der Leinwand sehen, die in dem Musikfilm von Bradley Cooper von 2018 « A Star is born » die Hauptrolle spielt.)
Der Regisseur Krzysztof Warlikowski liebt das Kino und hat hier die Edel-Kneipe Lutter und Wegener in ein Filmstudio verwandelt. Über den Seitentüren weisen die „On Air“ Lampen darauf hin, nicht zu stören. Irgendwie schaffen es die Protagonisten aber dann doch, sich vom Prolog loszulösen und ins Französische zu wechseln, damit die Aufführung beginnen kann. Natürlich hat man die Hauptrollen noch nicht vergeben, das Casting läuft immer noch.
Da die Vorstellung von Don Giovanni, in der Hoffmanns (ausgezeichnet, temperamentvoll und stimmgewaltig der Italiener Enea Scala) Angebetete Stella die Donna Anna singt, noch andauert, hat er genug Zeit, die Geschichten über seine verlorenen Lieben zu erzählen. Dafür zieht er dann schnell einen grauen, verknitterten Anzug an, denn man soll ja merken, dass er dem Wermut verfallen ist. Die Muse (die wunderbare kanadische Mezzo-Sopran Michèle Losier) ist wohl auch verliebt in ihn und will ihn dazu bringen, dem Alkohol zu entsagen. Sie verwandelt sich deshalb in Nickolausse, indem sie ihr sexy outfit unter einem schwarzen Manager-Hosenanzug versteckt und im Verlauf des Abends ebenfalls an den Entscheidungen der künftigen Hauptdarsteller mitwirken wird.
Nicole Chevalier (Stella, Olympia, Antonia, Giulietta und die diversen Casting-Damen) kann ihre Rolle, sie trällert die Koloraturen mühelos die Tonleiter rauf und runter und spielt dazu auch noch glaubwürdige ihre Rollen. Chevalier gehört zum Ensemble der Komischen Oper Berlin und hat dort in der Barrie Kosky-Version 2017 gesungen. Sie ist eine witzige und mechanische Olympia, eine beeindruckende und berührende Antonia, (überhaupt ist der Antonia-Akt am besten gelungen) hat aber mit der Giulietta-Rolle, so wie Warlikowsky sie sieht, Probleme, sich mit der venezianischen Kurtisane zu identifizieren. Als Giulietta bleibt sie im Schatten der spritzigen Muse Michèle Losier und wirkt fehl am Platz bei einem kurzen Techtelmechtel der beiden Frauen. Losier bringt die Zerrissenheit von Hoffmann aufs Tablett.
Auf der Bühne tummeln sich permanent Tänzerinnen im Marilyn Monroe-Look, Sängerinnen und sonstigen Personen, die alle etwas mit dem zu drehenden Film zu tun haben. Sie überzeugen allerdings generell mit ihren Darbietungen und diese Einlagen haben dem Stück nicht geschadet. Hoffmanns Erzählungen braucht ja auch das Chaos.
Im IV und V. Akt kommt Hoffmann dann wieder in Unterhosen auf die Bühne. Jetzt scheint der Regisseur die Inspiration verloren zu haben und greift wieder auf das altbekannte Mittel der Filmprojektion mit Großaufnahmen zurück. Nun herrscht nur noch Chaos und Unverständnis. Vor dem letzten Akt fällt nochmals der Vorhang und die Hauptdarstellerin Esther Blodgett alias Nicole Chevalier alias Stella, Olympia, Antonia, Giulietta steht im Glitzerkleid vor dem 50er Jahre Mikrophon und will sich für den Oscar bedanken. Soweit kommt es aber nicht, denn Hoffmann alias alias stielt ihr die Schau und teilt dem Publikum mit, dass er einen Job braucht. Das passiert wieder in englischer Sprache und nimmt den Dialog bei der Oscar-Verleihung für „A Star is Born“ von Judy Garland und James Mason als Grundlage. Hier spielt der Regisseur wieder mit der Geschichte in der Geschichte.
Total überflüssig diese in englischer Sprache hinzugefügten Nebengeschichten. Man will und braucht sie nicht. Bekannte Arien sind dafür aus der Produktion gefallen. Musikalisch gibt es an der Aufführung nichts auszusetzen. Großartig und unheimlich überzeugend der Bariton Gábor Bretz in den Rollen des Lindorf, Coppelius, Miracle, Dapertutto. Sir Willard White ist Luther und Crepel und Loic Félix Frantz, Andres, Cochenille, Pitichinaccio, Francois Piolino ist Spalanzani und Nathanael.
Der Chor der Monnaie ist ebenfalls sehr gut so auch das Orchester mit Alain Altinoglu am Pult, der die einzelnen Leitmotive gut herausarbeitet und eine sehr farbenfrohe Performance hinlegt, der allerdings zum Schluss ein wenig die Luft ausgeht. Altinoglu ist seit 2015 Chefdirigent an der Brüsseler La Monnaie und die Belgier lieben ihn und jubeln ihm zu, als er nach der zweiten Pause mit einem Glas Champagner ans Pult zurückkehrt. 2015 hat er in Bayreuth den Lohengrin dirigiert. Die Opernsaison 2019 in Brüssel hat er mit einer Welturaufführung seines Landmanns Pascal Dusapin, Macbeth Underworld, eingeleitet.
Warlikowski sollte vielleicht einen Film drehen, denn auch das Programmheft bringt zur Hälfte Aussagen und Dialoge von Stars und Oscar-Gewinnern. Die Kostüme, die sich an die 1950er Jahre anlehnen, hat Malgorzata Szeczesnika entworfen und vor allem das von Olympia ist gut gelungen.
Jacques Offenbach hat keine der vorliegenden Partituren abgesegnet. Das lag daran, dass seine Erben nach seinem Tod die Manuskripte unter sich aufgeteilt haben. Seine Notenblätter weisen Eintragungen auf, die nicht von ihm stammen. Heute noch sind einige Manuskripte in Paris, einige im Privatbesitz und andere in New York.
Der Schott-Verlag hat eine Version aus allen bekannten Quellen erstellt, die sog. Kaye-Keck-Fassung.
Trotzdem aber eine nette Silvester-Aufführung!
und hier die Beschreibung der Aufführung an der Komischen Oper 2017
Christa Blenk
01.01.2020