Chamber Music for Europe – Biennale – Mieczyslaw Weinberg
Zerrupfte Töne auf der Flucht
1996 ist der polnische Komponist Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) verstorben. Im Westen kannten ihn nur wenige. Die Konzerte anlässlich seines 100. Geburtstages sollen dies hoffentlich ändern. In Brüssel wurden im Rahmen der Biennale « Chamber Music for Europe » – in Zusammenarbeit mit dem polnischen Kulturinstitut in Brüssel - vom 6. – 8. Dezember 2019 mehrere Werke des polnischen Komponisten an drei unterschiedlichen, sehr schönen, Orten (Chapelle Protestante, Palais des Académies, Conservatoire royal de Bruxelles) aufgeführt.
Schneestürme, Klirrende Kälte, leises Rieseln, lustiges Schneetreiben, vorsichtige Eisbegehung, turbulente Schlittschuhe auf dem dicken Eis und temperamentvolle, unkontrollierbare Schneeflocken und viel Trauer. Das empfindet man bei Weinbergs Klavier- und Streicherkompositionen.
Am 8. Dezember spielte das Trio Khaldei im Brüsseler « Palais des Académies“ Weinbergs Klaviertrio op. 24. Im Anschluss stand das Klavierquintett op 18 (1944) auf dem Programm. Ausgezeichnet interpretiert vom Silesian Quartett mit Victor Chestopal am Klavier.
Silesian Quartet
Das Klavierquintett ist ein Meisterwerk und besteht aus fünf Sätzen, die im Schlagabtausch zwischen Klavier und Streicher versuchen, Chaos und Unsicherheit in Ordnung und Frieden zu verwandeln. Im Entstehungsjahr 1944 lebte Mieczyslaw Weinberg schon in der Sowjetunion. Weinberg, der Sohn eines jüdischen Musikers, hatte kurz vor Kriegsende eine unruhige Zeit, geprägt von Flucht und Verlust, Verfolgung und Neubeginn hinter sich. Seine Musik ist geprägt von dramatisch-wütenden Verfolgungsszenen, die in schwermütige, tänzerisch-seidige Melancholie übergeben. Existenzialistische Jazzelemente leiten zu pastoralen Walzertakten. Das Piano donnert, die Geigen klirren und erzählen von Kälte, Angst und Furcht. Komponieren war seine Lösung, mit Trauer umzugehen oder zu trauern. Jede Note erzählt eine Geschichte, die meist nicht gut ausgeht. Große Emotionen werden hier freigelegt und Verzweiflung mündet immer wieder in unschlagbare Hoffnung. Aber dann braucht er wieder ein wenig Erholung und lässt einen irischen Squaredance der Streicher in wirbelnden Rock n’Roll des Klaviers münden.
Und dann andächtige Stille. Die Streicher lassen ihre Bögen langen nicht sinken.
1939 musste Weinberg sein Studium in Warschau abbrechen und kam auf Umwegen über Minsk nach Moskau. 1941 musste er erneut wegen des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion fliehen und landete in Taschkent. In dieser Zeit entstand seine Freundschaft mit Schostakowitsch, der ihn auch nach Moskau holte, ihn immer unterstützte und sein großes Talent erkannte. Viele Mitglieder von Weinbergs Familie kamen im KZ ums Leben. Bekannt wurde Weinberg vor allem mit der Musik für den Film „Die Kraniche ziehen“ (1957). Das Durchgemachte während des NS Zeit hat immer wieder Einzug in seine Musik gefunden. In der Oper Die Passagierin, die als sein Hauptwerk gilt, arbeitete Weinberg das Thema Auschwitz auf. Sie wurde vor ein paar Jahren als Weltpremiere bei den Bregenzer Festspielen aufgeführt. Die Passagierin darf durchaus mit den großen Opern des 20. Jahrhunderts wie Wozzeck, Billy Budd oder Elegie für junge Liebende verglichen werden. Man versteht sowieso nicht, wieso Weinberg solange praktisch « unentdeckt » bleiben konnte.
Trio Khaldai
Das junge Brüsseler Trio Khaldei (Barbara Baltussen, Piano; Pieter Jansen, Geige; Francis Mourey, Cello) überzeugte mit Perfektion und Einfühlsamkeit.
Star der Matinee war allerdings das polnische Ensemble “Silesian Quartet” (Piotr Janosik, Cello; Szymon Krzeszowiec, Geige; Arkadiusz Kubica, Geige; Łukasz Syrnicki ,viola). Es ist eines der renommiertesten Kammermusikensembles in Polen, aber auch im Ausland sehr bekannt. Sie haben vor allem zeitgenössische und moderne Musik in ihrem Repertoire. Durchdringend, angespannt, ausdrucksstark, voll von gedeckten Farben und technisch perfekt hat das Silesian Quartett das Klavierquintett vorgetragen und mitgefühlt.
Der finnische Pianist und Musikologe russischen Ursprungs Victor Chestopal (*1975) hat in Finnland, Italien und Deutschland studiert und sich auf Kammermusik spezialisiert.
Weiterhin standen in diesen vier Weinberg-Tagen unterschiedliche Quartette sowie das Concertino für Cello und Streichorchester op 43 und die Fantasie für Cello und Orchester op 52 auf dem Programm.
(c) Sebastian Blenk
s.a. Besprechung Noga Quartett bei den Zehlendorfer Hauskonzerten
Christa Blenk