Zehlendorfer Hauskonzerte – Pierre Chastel und Daniel Gerzenberg

Das Zehlendorfer Hauskonzert am 10. Mai war zu einem großen Teil Heinrich Heine gewidmet. Dafür haben der Bassbariton Pierre Chastel und der Pianist Daniel Gerzenberg ein anspruchsvolles und sehr unterhaltsames Programm zusammengestellt und auch bewiesen, dass sie Berührungsängste nicht kennen.
Das Konzert beginnt mit Robert Schumanns (1810-1856) „Dichterliebe“ . Von den 16 Liedern dieser Serie haben die Beiden fünf Lieder vorgetragen, u.a. „Im wunderschönen Monat Mai“, „Ich grolle nicht“ oder „Die Alten, bösen Lieder“. Dieser Zyklus entstand 1840 nach Gedichten von Heinrich Heine und zählt zu Schumanns Lied-Hauptwerken.
„Wer sich der Einsamkeit ergibt, Ach! Der ist bald allein“ ist der Beginn von Hugo Wolfs’ (1860-1903) Lied „Der Harfenspieler I, II und III“. Wolf in ein paar Monaten zwischen Oktober 1888 und Februar 1889 an die 50 Gedichte von Goethe vertont. Mit Unterstützung einer amerikanischen Mäzenin, die Wolf in Bayreuth kennengelernt hatte, konnten sie 1890 gedruckt werden. Wolf war sonst immer bemüht Gedichte zu verarbeiten, die noch nicht von anderen Komponisten vertont worden waren. Mit Wilhelm Meister haben sich auch Schubert und Schumann auseinandergesetzt. Harfenspieler I bis III steht zusammen mit Mignon am Anfang seiner Sammlung. Klagen, Armut, Elend, Einsamkeit und Erlösung sind Inhalt des Gedichtes und Harfner muss sie erleiden oder ertragen. Wolf hat hier alles was er an profunder Ausdruckskraft, verhaltener Anklage und geballter Eindringlichkeit geben konnte gegeben und das hat Pierre Chastel mit seinem ruhigen, fast bewegungslosen Auftritt ebenfalls getan.
Weiter geht es Franz Schuberts (1797-1828) Schwanengesang. Schubert hat den Zyklus im Sommer/Herbst 1828 nach Gedichten u.a. von Heinrich Heine komponiert. Schwanengesang heißt es, weil es sich hier um Schuberts letzte Werke handelt, die postum veröffentlicht wurden. „Atlas“ wird im Zehlendorfer Wohnzimmer einmal ganz anders vorgetragen. Der Pianist Gerzenberg, der seit 2016 an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin studiert, hat außer dem Klavierstudium auch Theater, Schauspiel und Dramaturgieunterricht genommen. Dies kommt bei der großartigen, originellen, gesprochenen und gezupften Improvisation von « Atlas » zur Geltung. Mit « Ihr Bild » finden die beiden Interpreten gleich wieder zum klassischen Kunstlied-Vortrag zurück. Der immer wieder schauernde Doppelgänger schließt den Schubert-Teils ab. Der Doppelgänger kommt aus dem Buch der Lieder „Die Heimkehr“ und heißt dort « Still ist die Nacht“.
Zwei kleine Lieder von Maurice Ravel « Kaddish – Deux mélodies hébraïques » schließen und runden das Konzert ab. Es handelt sich bei Kaddish um die Textvertonung eines jüdischen Freitags-Liedes, aber auch um einen Totengesang, der am Grab – in aramäischer Sprache – vorgetragen wird. Minimal die Klavierbegleitung. Ravel, der sich Inspirationsquellen gerne bei anderen Kulturen suchte, hat die Stücke 1914 in Saint-Jean-de-Luz geschrieben und in diesem Jahr wurden sie auch noch uraufgeführt, gesungen von Alvina Alvi, Ravel selber am Piano. 1919 hat er eine Orchesterfassung erstellt. Yehudi Menuhin hat die zwei miteinander verbundenen Lieder für die Geige verweigt. Auch die Version von Daniel Hope, Menuhin gewidmet, ist sehr bekannt.
Mit der „Ständchen“-Zugabe ging dieses bezaubernde Konzert und musikalische Ereignis zu Ende.
Pierre Chastel war als Schlagzeuger schon öfters zu Gast in Zehlendorf. Als Sänger war dies am Freitag Abend seine Premiere. Seit 2016 studiert er an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Gesang bei Professor Scot Weir, nachdem ihm jemand sagte, dass er mit so einer Stimme eigentlich singen müsse. Jazz hat er in Deutschland und Frankreich studiert. Seit 2018 tritt er als Sänger auf, u.a. war er Solist bei Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium in der Berliner Sophienkirche. Sein Bassbariton ist ein kräftiger, warmer, cremiger. Mit diesem Potenzial könnte er durchaus einmal ein Heldenbariton für Wagner-, Rossini- oder Puccini-Rollen werden. Sein ruhiger Liedvortrag ist feierlich und natürlich, gestenlos, gelöst vom Zwang, die Wörter mit seinen Händen zu unterstützen. Alle Emotionen – und es gibt viele - überlässt er seiner schönen Stimme. Das offene Klavier bewältigt er ohne die geringsten Probleme. Mit dem Hamburger Pianisten Daniel Gerzenberg hat er die perfekte Begleitung gefunden. Souverän und sicher geht Gerzenberg auf jede Stimmung ein, folgt und leitet, ruhig und verlässlich, so wie man Lieblingsstücke spielt! Nicht umsonst ist er ein viel gefragter Liedbegleiter.
Pierre Chastel wird in diesem Monat noch im Bröhan Museum auftreten und im November im Kammermusiksaal der Philharmonie mit dem Weihnachtsoratorium von J.S.Bach.
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Christa Blenk