Candide an der Komischen Oper
Lederhosen, Reifröcke, Rettungswesten, Federboas und eine Weltkugel
Auf der Suche nach der besten Welt!
Im 17./18. Jahrhundert war der Anspruch von Leibniz in der „Besten aller möglichen Welten“ zu leben Teil der philosophischen Diskussion. Dieser Lehrsatz geriet auch mit dem Erdbeben von Lissabon ins Wackeln und wurde von Voltaire heftig mit Gegenargumenten belegt, dazu gehörte eben auch sein scharfzüngiger Roman Candide oder der Optimismus. Ein Absurdum, das es zu zerlegen galt.
Hier lässt er den jungen, unschuldigen Westfalen Candide – einen reinen Tor – auf eine Initiations-Weltreise gehen, d.h. er wird vom Vater seiner Liebsten Kunigunde in die Welt gejagt, besteht unzählige Abenteuer, übersteht Todesurteile, Kriege, Seuchen und sogar die Inquisition. Begleitet wird er auf seiner wirren Reise von seinem ehemaligen Lehrer und unverbesserlichen Philosophen Dr. Pangloss, teilweise von einem Kapitän und einer alten Frau, die auch mal aus besseren Verhältnissen in die Armut abgerutscht ist. Manchmal reich, manchmal arm und mittellos, verliert Candide nie den Mut, zweifelt allerdings manchmal und immer öfter am Guten im Menschen und wird selbst zum Mörder des heuchlerischen Großinquisitors, der Kunigunde als Liebessklavin gefangen hält. Candide sucht unermüdlich nach Kunigunde, die ihrerseits verschleppt und verkauft von Montevideo, Surinam, Venedig über Holland und Bulgarien unterwegs ist und immer mehr dem Glamour zu verfallen scheint. Irgendwann nach vielen Irrungen und Wirrungen finden sie sich wieder, doch die Liebe ist nur noch Illusion, Kunigunde trachtet nach Geld und Gold, bleibt aber dann bei ihm, um gemeinsam den Garten zu bestellen und Brot zu backen.
Die neue Produktion von Bernsteins Comic Operetta „Candide oder der Optimismus“ ist vielseitig, schrill und einfallsreich, auch wenn Barry Kosky durchaus mal auf Einfälle oder Gags zurückgreift, die sich schon bei anderen, früheren Produktionen als erfolgreich hervorgetan haben. Kosky hat für diese Produktion das Kostüme-Arsenal der Komischen Oper geplündert, dafür wenig sonstige Dekoration auf die Bühne gestellt.
Der bissige und zynische Voltaire schrieb die roadmovie-Aufklärungs-Satire Candide 1759 als Kritik an den deutschen, weltbejahenden Philosophen. Bernsteins Musik dazu nach einer Idee von Lillian Hellmann entstand fast gleichzeitig wie der Boadway-runner West Side Story, als eine Art Hommage an die europäische Musikgeschichte.
Seit dem Jahre 2000 liegt nun endlich eine Fassung vor, die Voltaires Brillanz einigermaßen auffängt oder sich an ihr messen kann.
Das Böse existiert, mehr noch, es gehört zum Leben wie ein Vanilleeis oder ein Stück Butterkuchen. Bernstein brauchte ja nur jeden Tag die New York Times aufzuschlagen, um dies immer wieder bestätigt zu bekommen. Musste er doch selber zeitweise während der McCarthy Zeit auf seinen Pass verzichten. Musikalisch springt er auch hier von einem Stil zum anderen und kaum hat man sich an den schnulzigen Walzer gewöhnt, poppen Tango-Töne oder Jazz-Elemente hervor. Über 30 Jahre hat sich Bernstein mit dem Candide-Thema befasst. Die Uraufführung 1956 im New York City Theater war ein ziemlicher Reinfall, vor allem wegen Lillian Hellmanns Libretto, die es nicht schaffte, Voltaires satirisches Niveau aufleben zu lassen. Viele Jahre später wurde die Operette in ein Musical verwandelt. Dieses Mal konnte die Premiere am Broadway große Erfolge vorweisen mit dem neuen Libretto von Hugh Wheeler von 1982.
Musikalisch verlangt Candide so allerhand von den Sängern, vor allem Kunigundes Koloratursopran ist sehr anspruchsvoll. Bernstein hat seinerzeit die Rolle für Christa Ludwig geschrieben.
Voltaire selber begleitet die Reise und kommentiert die Geschehnisse – zwischendurch wird er immer mal zu Dr. Pangloss. Franz Hawlata, verfällt ins Österreichische sobald er die Voltaire Perücke abnimmt und ist sehr überzeugend. Nicole Chevalier ist eine großartige Kunigunde, leicht, tanzend und singend. Wunderbar auch Allan Clayton als Candide, der beeindruckende Tanzszenen aufs Parkett legt und sich zum Schluss bei Kosky über die körperliche Anstrengung beschwert. Chor, Solisten und Ballett einwandfrei bei der Aufführung am 3.2.2019.
Die Deutsche Fassung von Martin G. Berger entstand 2017.
Christa Blenk