Violetter Schnee
Zeitgenössisches Opern-Highlight vor einem bruegelschen Meisterwerk
Fast hört es sich an wie der aktuelle Wetterbericht in Bayern und Österreich nach den Weihnachtsferien. Schnee und noch mehr Schnee und alle, die nicht in dieser Schneelandschaft wohnen, wollen hin, um diesen Ausnahmezustand mitzuerleben, wollen eingeschneit sein, um später darüber reden zu können.

Im Auftrag der Staatsoper Berlin hat der Schweizer Komponist Beat Furrer „Violetter Schnee“ nach einem Text von Händl Klaus basierend auf einer Vorlage von Vladimir Sorokin komponiert. Mitte Januar 2019 fand die Welturaufführung in der Staatsoper statt.
Die Welt befindet sich in einer Art Endzeit, die Apokalypse naht. Fünf Menschen, zwei sehr unterschiedliche Paare und Jacques, sind von ihr abgeschnitten, irgendwo in den Bergen vielleicht, und es hört einfach nicht auf zu schneien. Das Zeitgefühl geht verloren, die Flocken rieseln leise durch die ungemütliche Stille auf die Welt. Ein « Viaggio a Reims » im Schnee. Es geht um Schweigen, um Trennung, um Verlust, um Fremdsein und Fremdwerden – aber immer piano, nur die Musik tobt mit eisigen, klirrenden Klängen dazu, keine Wohlfühloase, obwohl durchaus leichter aufzunehmende Arien unterbrechen.
Die Geschichte passiert im und vor Bruegels Bild „Die Jäger im Schnee“, es entstand 1565 und hängt im Wiener Kunsthistorischen Museum. Am Anfang entsteht es im Großformat vor der Bühne, wird erkenntlich, dann langsam transparent, bis man hinter dem Bild Menschen im Museum vor dieser berühmten Schneelandschaft stehen sieht, die es gerade betrachten.


Während Martina Gedeck fast hilflos einzelne Szenen auf dem Gemälde beschreibt, dabei nach Wörtern sucht, singen die fünf Darsteller in unterschiedlichen Gemütszuständen und in 1950er Jahre Kostüme von Ursula Kudrna gewandet, vor sich hin. Das Gemälde ist viel mehr als eine Schneelandschaft. Die Farben Weiß und Grau dominieren, Wolken verdecken die Sonne, alles ist zu- oder eingefroren. Die Jäger kommen mit ihren Hunden und einer Beute nach Hause, eine alte Frau sammelt Reisig, Kinder laufen Schlittschuh. Claus Guth hat das Bild fragmentiert und jede Szene zum Leben erweckt. So müssen sich immer wieder einzelne Personen aus dem Bild in das phlegmatische Geschehen mischen, ohne dass es jemand wahrnimmt. Unbeteiligt bewegen sie sich in Zeitlupe von einer Seite der Bühne zur anderen. Zwei Parallelgeschichten passieren hier. Dann bewegt sich die Bühne nach oben, ins Freie, dort hadert Jacques auf einer Bank, er erkennt die Sprecherin Tanja als seine verstorbene Ehefrau. Träume werden eingeblendet und wir erfahren, wie sich seine Frau am Rande einer fröhlichen Geburtstagsfeier das Leben nimmt.
Das Ende näher sich ganz langsam, sprachlos eigentlich und die Flocken wirken gar nicht bedrohlich, das bedrohliche ist die Stille, die Langsamkeit, die Sprachlosigkeit. Zum Schluss eine kalte Sonne oder irgend ein anderer Planet – immer weiter weg, unerreichbar und verloren im Universum.
Großartige Solisten wie Anna Prohaska, Elsa Dreisig, Gyula Orendt, Georg Nigl und Otto Katzameier leisten übermenschliches. Bei dieser Musik gibt es kein Netz oder keine Melodie, an der sie sich orientieren können. Die letzte Vorstellung in dieser Spielsaison am 31. Januar hat Furrer selber dirigiert.
Rasender Applaus.

Christa Blenk