Die Sache Makropulos
Alt werden wollen oder jung bleiben müssen oder umgekehrt – das ist hier die Frage.
Die Unsterblichkeit samt ihrer Tücken ist und war für die Bühne immer ein dankbares Motiv. Leo Janácek hat sich mit seinem Spätwerk „Die Sache Makropulos“ auch damit befasst, beeindruckt und inspiriert von einem damals ganz neuen Theaterstück von Karel Capek.
Emilia Marty ist also 337 Jahre alt und macht immer noch alle Männer verrückt. Bei ihr waren es allerdings nicht die Errungenschaften der Medizin, die ihr das immer noch jugendliche Aussehen bescherten, sondern ein Zaubertrunk ihres Vaters Hieronymus Makropulos, seines Zeichens Leibarzt am Hof von Kaiser Rudolf II. Mitte des 16. Jahrhunderts. Für den sollte er nämlich eine Zaubertinktur entwickeln, die ihm ewiges Leben schenken würde. Da Rudolf aber nicht das Risiko einer Testperson eingehen wollte, wurde das Gebräu kurzerhand an des Zauberers 16-jähriger Tochter Elina Makropulos ausprobiert. Diese fiel direkt in eine längere Ohnmacht und der Doktorvater in den Kerker. Elina kommt aber nach einiger Zeit wieder zu sich und lebt seitdem, meist als gefeierte Sängerin und Femme fatale, durch die Jahrhunderte, bis sie 1922 in der Zeit der Neuen Sachlichkeit in Prag ankommt und dort wieder eine gefeierte Sängerin ist. Diese nicht alternde Heldin in Leos Janáceks Oper nimmt allerdings mit den Jahren einen kalten, menschenverachtenden Zynismus an, sie ist allein, denn alle ihre Freunde und Liebhaber sterben ständig weg und kann einfach von nichts mehr überrascht werden. Christof Hetzer hat Emilia Marty gekleidet, als ob sie gerade aus einem Bild von Georg Grosz oder Otto Dix gestiegen wäre. Die E.M.s aus früheren Jahren sind zeitweise auch gleichzeitig auf der Bühne anwesend, immer in ein prächtiges Kostüm der jeweiligen Epoche gewandet.
Aber eigentlich geht es mit einem fast 100-jährigen Prozess los, der in einem Büro stattfindet, das eher an eine Anstalt erinnert. Die Familien Prus und Gregor liegen in einem Rechtsstreit. Die Lebensgeschichte von E.M. (denn all ihre Pseudonyme über die Jahre hinweg hatten diese Initialen) kommt dabei so peu à peu ans Tageslicht. Es geht um einen Erbprozess, zu dem sie wichtige Insider-Informationen beitragen kann. E.M hat aber ein anderes Problem, ihre Zeit läuft ab und sie braucht unbedingt die Notizen Ihres Vaters, um jung und fit weiter leben zu können. Dieses Geheimrepezt befindet sich aber in einer Kommode im Haus von Prus. Als sie es schließlich in den Händen hält, ist aber die Luft raus und sie will es nicht mehr und versucht, es – erfolglos – an die Nachwuchssängerin Krista weiter zu reichen. Die fünf anderen E.M.s verschlingen gierig das Papier mit der Formel und aus.
Umgeben ist Emilia – außer von Krista – die ganze Zeit nur von Männern, die alle etwas von ihr wollen:
Die großartige Evelyn Herlitzius singt die Emilia Marty der 1920er Jahre, glaubwürdig und überzeugend und ständig auf der Bühne. Die Kritiken nach der Premiere 2016 waren sich allesamt einig, dass ihr dieser Part auf den Leib geschneidert ist. In Sekundenschnelle schlüpft sie von der Rolle eines gefühllosen Ungeheuers zu einer gerissenen oder sentimentalen Lebedame. Wie in einer Kriminalgeschichte wird so ganz nebenbei ihr Inkognito gelüftet. Wichtigstes Beweisstück ist ein Autogramms, das sie der jungen Krista gibt. Und geistig springen und schnell lesen muss man auch, um nicht den Faden zu verlieren, wenn dann wieder von Elian MacGregor oder der Zigeunerin Eugenia die Rede ist. Die Oper hat sehr viel Text und gesungen wird in tschechischer Sprache
David Hermann und Christof Hetzer haben schlichte, kalte Bilder entworfen, die meist im Gegensatz zu den opulenten Kostümen der Renaissance und Barockzeit stehen. Ein wenig dekadenter Stuck, abblätternde Farbe an den Wänden oder kalte Bauhaus-Liegen bilden die Kulisse. Die Wände flimmern und signalisieren, dass die Zeit vergeht..
Am Pult vor dem Orchester der Deutschen Oper Berlin stand am 22.11.2018 Marko Letonja.
Uraufführung fand 1926 in Brünn statt.
cmb