Der Diktator von Ernst Krenek
Ernst Krenek’s Einakter-Oper „Der Diktator“ dauert nur ca 30 Minuten. Die Neuköllner Oper hat daraus eine 60-Minuten-Produktion gemacht, die sich sehen und hören lassen kann.
Beim Betreten der Studio-Bühne sind alle Protagonisten bereits auf der Bühne und singen oder reden sich an. Das Geschehen findet auf zwei Ebenen statt: Da ist im Vordergrund ein großes Schaukelbrett, auf dem die Personen hin- und herwippen. Diese unkontrollierten Bewegungsabläufe assoziieren Unsicherheit und Unentschiedenheit, Schwäche und Dominanz. In einer Ecke im hinteren Teil der Bühne steht ein weißer Wachturm. Dieser mag einem Gefängniswärter dienen, einen Todesstreifen bewachen oder der Schiedsrichterplatz bei einem Tennismatch sein – und sehr sportlich sieht auch Maria aus. Dort oben halten sich meist der Diktator und Charlotte auf, seine geltungssüchtige und zickige Frau. Beide befinden sich gerade in der Schweiz in Erholungsurlaub.
Maria und ihr blinder Offiziersmann, die gekommen sind, um den Diktator zu töten, sind entweder unter der Bühne fast unsichtbar oder huschen auf der Wippe hin- und her; unsicher und wackelig. Maria hat eine Waffe. Ab und zu begibt sich auch Charlotte auf die große Schaukel und einmal fällt sie sogar von ihr, kriecht aber ansonsten mit schönen, spinnenhaften Metamorphosen-Gebärden darüber oder gibt sich ein Augenduell mit der rot gekleideten Maria. Charlotte ist in kaltes Blau gekleidet und könnte genauso aus dem Raumschiff Enterprise herunter gebeamt worden sein, während der Diktator aufgebrezelt in weiß, blond und blau leidenschaftliche Reden in Deutsch, Englisch und Italienisch hält oder ist er vielleicht gerade aus dem Kinderzimmer einer Horde arischer Barbi-Puppen entkommen?
Es geht um Macht, Leidenschaft, Eifersucht, Manipulation und verräterische Liebe. Zum Schluss tötet nicht Maria den Diktator, dem sie ganz schnell verfällt sondern die berechnende Charlotte schnappt sich die Waffe und erschießt Maria und deklariert die Tat ganz schnell als Selbstmord. Der blinde Offizier ruft suchend nach Maria.
Charlotte manipuliert, bestimmt was passiert und sie trägt zum Schluss den weiten, langen Diktatorenmantel und das letzte Wort hat sich auch. Dies ist allerdings nicht Kreneks Entscheidung gewesen, sondern gehört zu den Zusätzen, die der Komponist Jörg Gollasch und die Regisseurin Ariane Kareev dem Werk hinzugefügt haben.
Kreneks Musik überspannt viele Bögen und nimmt unzählige Musikstile auf. Verismus-Arien und elektronische Musik, Jazz-Rhythmen und Zwölfton-Elemente, ja sogar Romantik wechseln sich ab. Geschrieben hat er die Oper 1926 als eine Art Warnung vor dem aufkommenden Faschismus.
Die Vier Solisten Sotiris Charalampous, Lawrence Halksworth, Eva Maria Nikolaus und Isabel Reinhard haben mir ihren Stimmen (und ihrer Schauspielerei) beeindruckt.
Am Klavier spielte Walewein Witten; Maria Franz (Cello) und Jan-Einar Groh (Perkussion).
Ernst Krenek (1900 – 1991) ist in Österreich geboren und in USA verstorben. Er war 1924 ein paar Monate mit Gustav Mahlers Tochter Anna verheiratet und eine zeitlang von Strawinskys Musik beeinflusst, ging aber dann in alle Richtungen. Seine Oper « Jonny spielt auf » war einer der großen Hits der 1920er Jahre obwohl es Hanns Eisler 1927 als « langweiliges und geistloses » Stück eines doch sehr begabten Komponisten bezeichnet hatte. Ab 1933 galt Krenek als entarteter Künstler. 1937 reist er in die USA und wurde bereits 1945 Amerikaner.
cmb