Zarte Männer – Ausstellung im Kolbe Museum

Aufmarsch der Anti-Helden
Die diesjährige Herbstausstellung im Kolbe Museum ist « zarten Männern » gewidmet: Skulpturen der Moderne aus drei Generationen.
80 Plastiken von weniger bekannten Bildhauern sind zu entdecken aber auch bedeutende Künstler wie Wilhelm Lehmbruck, Hermann Blumenthal, George Minne oder Georg Kolbe selber sind ausgestellt und sie haben Eines gemeinsam: Die Männer entsprechen allesamt nicht dem damals (und vielleicht noch heute) erwarteten Männerbild. Die Skulpturen zeigen zarte, empfindsame und schüchtern-vergeistigte Jünglinge. In einer von Unruhen und Kriegen geprägten Zeit schauen diese wehrlos wirkenden Anti-Helden gen Boden, wollen sich nicht mit Schwertern oder Waffen belasten oder kämpfen. Sie sehnen sich nach schönen Gedanken, wollen Poesie zitieren und den Duft einer Rose in Arkadien schnuppern.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in Italien der Futurismus erfunden. Seine martialischen Parolen verherrlichten den Krieg. Die Welt musste laut und schnell und aggressiv werden. Diese dunkle, schwere Bewegung verlangte eine lichte Gegenbewegung, die wiederum eine Fortsetzung der Antikenverherrlichung bedeutete, die bereits im 19. Jahrhundert einsetzte. Das gebildete Bürgertum konnte sich die antiken Helden Merkur, Amor oder Ganymed in Kleinformat in die Vitrine stellen oder ihre Wunderkammer damit bereichern. Hier stehen Jünglinge oder Schönlinge, wie Thomas Mann sie in Tod in Venedig beschreibt. Was Letzterer oder Rainer Maria Rilke aufs Papier brachte, wurde von diesen Bildhauern in Stein gemeißelt oder in Bronze gegossen.
Der Ganymed von Artur Volkmann von 1890 hat mit der Knieenden (Spinne) von Blumenthal von 1930 nur die weltfremde Vulnerabilität gemein.
Wilhelm Lehmbrucks (1881-1919) Gestürzter entstand 1915 und wird als Markstein in der Körperempfindung moderner Skulptur gesehen. Überhaupt schuf Lehmbruck seine interessantesten Werke während des Krieges, den er in Zürich verbrachte. Wie fast all diese Künstler hat sich Lehmbruck hauptsächlich dem menschlichen Körper zwischen manieristischem Naturalismus und Expressionismus gewidmet. Anonymisiertes Elend, Leid und Armut drücken seine Arbeiten oft aus, dargestellt durch überlange, überdünne Körper. Einige seiner Werke wurden nach seinem Tod in München zuerst gezeigt und dann zerstört; die Knieende schaffte es 1955 auf die documenta 1. Lehmbruch, immer mehr gequält von Depressionen, wählte 1919 den Freitod. Er zählt neben Kollwitz, Kolbe und Barlach zu den bedeutendsten Künstlern dieser Zeit.
Georg Kolbe (1877-1947), beeinflusst von Max Klinger, kommt erst einmal vom Symbolismus. Als Autodidakt begann er 1900 mit ausdrucksvollen oder dramatischen Köpfen. Seine Arbeiten wurden über einen expressionistischen Impressionismus immer minimaler, reduzierter; er ist der untypischste in der Ausstellung. Sein Ikarus wirkt gar nicht so rachitisch und kommt mit intakten Flügeln auf dem Boden an. Die Skulptur entstand in Kolbes Istambuler Zeit, wo der Krieg ihn hingebracht hatte. Durch die Fürsprache seines Botschafter-Freundes wurde er allerdings vom aktiven Kriegsdienst verschont. Kolbe sollte indessen auf dem Friedhof von Tarabya ein Gefallenendenkmal errichten. Dies verschaffte ihm u.a. nach seiner Rückkehr nach Berlin 1919 die Mitgliedschaft in der Preußischen Akademie der Künste.
Hermann Blumenthal (1905-1942) gehört zur dritten Generation dieser Bildhauer. Er lernte die Antike Anfang der 1930er Jahre in Rom kennen und kam später von einem elegantem Kubismus zum Konstruktivismus. 1936 hatte er in Berlin seine erste Einzelausstellung, die aber – außer bei der liberalen Presse – nicht sehr gut ankam. Er selber zerstörte viele seiner Frühwerke, durfte aber 1936 als Stipendiat an die Villa Massimo nach Rom und später nach Florenz. In Italien entstanden seine Hauptwerke. Blumenthal wurde 1940 eingezogen und viel 1942 in Russland.
Die Ausstellung im Kolbe-Museum, ist wieder einmal ein Schmankerl und findet zum Gedenken an die Errungenschaften der ersten deutschen Republik vor 100 Jahren anlässlich des Themenwinters 2018 statt. Ein umfangreiches Begleitprogramm rundet diese Schau ab.
Der Ausflug ins Westend lohnt auf jeden Fall und der anschließende Besuch im originellen Café K nebenan ohnehin.
Christa Blenk