Wolfskinder
Hänsel und Gretel im « Kriegs »-Wald
Humperdincks Ouvertüre zu „Hänsel und Gretel“ knistert und rumpelt durch die transparente Stoffwand, genauso wie man sich Musik aus einem alten Grammophon vorstellt. Es ist dunkel und wie durch Nebel erkennt man die Konturen von alten Möbeln. Plötzlich wird die Musik durch Kriegsgeräusche, Fliegeralarm, Schreie oder Maschinengewehrlärm ergänzt bis sie diese fast verdrängt. Es wird langsam heller, der Lärm vergeht wieder, ein Mädchen singt zaghaft „Suse, liebe Suse“ und aus allen Ecken kriechen weitere sechs Mädchen. Jetzt erkennt man auch, dass dies einmal ein gutbürgerliches Wohnzimmer um 1900 war, mit schönen Möbeln, Teppichen, Bilder an den Wänden und Musikinstrumenten. Alles ist staubig und man will husten. Die Mädchen sind verunsichert und geben sich dem Hunger hin, streiten, ob es noch Katzen gibt oder diese schon alle aufgegessen worden sind. Sie vermissen ihre Eltern. Was dann kommt ist eine Mischung aus Rückblick, Angst, Einsamkeit, Hoffnung und Hänsel und Gretel im Kriegs-Wald. Ulrike Schwab, die Regisseurin, hat daraus eine Art crossover gemacht zwischen der Bombardierung Ostpreußens, bei der viele Kinder ihre Eltern verloren haben – im Verlauf der 90 Minuten erfährt man, dass das Elternhaus dieser Kinder in Königsberg stand – und dem Märchen Hänsel und Gretel. Die Mädchen erzählen von früheren Weihnachtsgeschenken, glücklichen Tagen, kalten Nächten, Hunger, Überfluss, langen mühsamen Wegen und Arbeiten auf einem Bauernhof. Zwischendurch erinnern sie sich an frühere Kinderspiele und machen Musik, denn alle haben sie früher ein Instrument spielen dürfen. Ein Schrank wird zum Knusperhäuschen im Wald umfunktioniert und angeknuspert bis sich die Hexe beschwert – „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind“
Die sieben Darstellerinnen (Angela Braun, Isabelle Klemt, Maja Lange, Ildiko Ludwig, Marine Madelin, Laura Esterina Pezzoli und Amélie Saadia) sind einfach nur großartig. Sie sind Schauspielerinnen, Musikerinnen, Tänzerinnen und Sängerinnen. Zaghaft und aggressiv. „Hunger ist der beste Koch“ wird von gewaltigem Fußstampfen begleitet.
Humperdinck hat das Stück als Kammermusik für die eigene Familie geschrieben und auf dieses Niveau haben es die Darstellinnen wohl wieder gebracht.
cmb