Zehlendorfer Hauskonzerte – Glasharfe und Gitarre
Kristallenes Frühlingskonzert im Wohnzimmer
Eine zarte Brise trägt das Piepsen der Turmfalken durch die offene Balkontür ins Wohnzimmer, dort ist im hinteren Teil des zum Konzertsaal umgebauten Raumes ein Plätschern zu hören. Die Glasharfe wird gerade für das Konzert vorbereitet und das braucht seine Zeit. Wasser ist ein wichtiger Faktor, es muss genau die richtige Temperatur haben, um die polierten, mundgeblasenen Stil-Gläser zum Singen zu bringen. Mit einem kleinen Schwamm stimmt Alexander Lemeshev seine beweglichen Hände, bevor er vorsichtig sein Gläser-Instrument aufstellt. Ein Glas wird keine Töne von sich geben, es hat lediglich die Funktion eines Wasserspenders, denn dort taucht Lemeshev in kurzen Abständen und blitzschnell seine Finger ins wohl temperierte Nass. Die Finger dürfen nicht trocken werden. Diese kristallklaren Töne entstehen durch kreisende Bewegungen mit den nassen Fingerspitzen oder durch Anschlagen an das Glas. Transparent, hell und glasklar erklingt eine umfangreiche Notenpalette. Unglaublich, mit welch meisterhafter Fingerfertigkeit er diese sauberen Engels-Töne (in England wird die Glasharfe übrigens auch Engelsorgel genannt) erzeugt.
Der in Berlin lebende Gitarrist Vitaliy Shal begleitet den Glasharfen-Solisten Alexander Lemeshev an diesem Musikabend auf einer musikalischen Reise durch die Jahrhunderte, denn schon vor 500 Jahren gab es « Glas »-Musik.
Das Konzert beginnt mit einem Fragment aus Franz Schuberts 1828 erschienenen « moments musicals » , ursprünglich für Klavier geschrieben. Gefolgt von zwei Glasharfen-Stücken von Mozart. Sechs Monate vor seinem Tod, 1791, schrieb dieser zwei bedeutende Kompositionen für die damals bekannteste und blinde Glasharmonika-Spielerin Marianne Kirchgessner. Einmal das Quintett für Glasharmonika, Flöte, Oboe, Viola und Violoncello sowie das Adagio für Glasharmonika solo. Angeblich hat Mozart bei der Uraufführung zwar nicht die Glasharmonika aber doch die Bratsche persönlich gespielt. Der Gitarrist Vitaliy Shal übernimmt hier den Part eines kompletten Streichquartetts. Die letzten beiden bezaubernden Stücke vor der Pause sind aus Tschaikowskys Nussknacker. Alexander Lemeshevs sichere Finger tanzen mit der Zuckerfee um die Wette und die Glasharfe erzeugt hier einen Pirouetten drehenden Spieldoseneffet.
In der Pause dürfen sich die Fingerkuppen ein wenig erholen, aber auch das Wasser braucht eine Temperaturanpassung, denn diese hat sich in 30 Minuten verändert. Dann werden seine Hände nochmals getrimmt und gestreckt und es kann weiter gehen.
Dass auch Werke von Johann Sebastian Bach auf der Glasharfe faszinieren können, beweist uns Lemeshev nach der Pause. Die beiden Musiker spielen zusammen ein Scherzo (Badinerie) aus einer Bach-Suite und Lemeshev Prelude in C Major aus dem wohltemperierten Klavier.
Der Teufelsgeiger Niccolò Paganini hat mit 38 Jahren einen kompletten Zyklus von Capricen für Geige komponiert, die so gut wie alle seine für ihn typischen musikalischen Anforderungen beinhalten. Die Nummer 24 ist die letzte und wird gerne als Zugabe gespielt. Technisch für jeden noch so brillanten Geiger eine Herausforderung. Alexander Lemeshevs Präsentation lässt ahnen, dass das Stück auch auf der Glasharfe so einiges vom Interpreten fordert. Er fliegt nur so über die Gläser. Das in kurzen Abständen flinke und durchgetaktete Eintauchen seiner Fingerkuppen ist Teil der Performance geworden und beeindruckt ungemein.
Mit dem dritten Satz aus Mozarts Sonate Nr. 11 A-Dur, besser bekannt als Türkischer Marsch, klingt das Konzert aus. Allerdings kann das begeisterte Publikum den beiden Musiker noch zwei Zugaben abringen. Der Bossa-Nova lässt die Glasharfen-Töne gleich in einem ganz anderen und sehr flotten Licht erscheinen und Brahms 5. Ungarischer Tanz beweist, dass man auch komplizierte Rhythmusänderungen auf ihr interpretieren kann.
Die Glasharfe oder Gläserspiel ist ein Idiophon. Das Instrument besteht aus mehreren Reihen sauber angeordneter, befestigter Trinkgläser. Jedes Glas hat einen eigenen Ton, eine eigene Note und eine Geschichte und wird speziell ausgesucht. Der Tonumfang kann bis zu drei Oktaven umfassen, auch die Raumakustik spielt eine wichtige Rolle. Die großen Gläser geben dunklere Töne ab als die zierlicheren. Die Anordnung der Gläser bestimmt jeder Musiker selber.
Schon um das Jahr 1500 hat man mit Glas Musik gemacht. Im Barock und in der Romantik gab es nicht wenige Komponisten, die für Glasharfe oder Glasharmonika komponierten. Anfang des 20. Jahrhunderts hat der Stuttgarter Musiker Bruno Hoffmann Kompositionen für Glasharmonika auf der Glasharfe wieder auf die Programmzettel der Konzertsäle gebracht und auch selber Stücke für Glasharfe komponiert. Carl Orff oder Richard Strauß befassten sich ebenfalls mit diesem chromatischen Instrument. Dass dieses zarte und doch sehr selbstbewusste Musikinstrument auch hypnotisieren kann, würde uns jetzt gar nicht wundern. Jedenfalls hat der österreichische Arzt Franz Anton Mesmer im 18. Jahrhundert Glasmusik für seine Hypnose benutzt.
Großartige und spannende Performance!
Christa Blenk