Zehlendorfer Hauskonzerte – Noga Quartett im Quintett
Entdeckung
Zerrissene Töne im Winter
Der gestrige Abend war dem polnischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) gewidmet. Hierzu kam das großartige Noga-Quartett ins Wohnzimmer nach Zehlendorf mit Weinbergs Klavierquintett f-Moll op. 18 im Gepäck. Am Klavier die wunderbare Pianistin und Weinberg-Expertin Katarzyna Wasiak. Im Entstehungsjahr 1944 lebte Mieczyslaw Weinberg schon in der Sowjetunion.
Das Klavierquintett besteht aus fünf Sätzen, die permanent auf der Suche sind, Chaos in Ordnung zu verwandeln, ein brillanter Schlagabtausch zwischen Klavier und Streicher. Einmal spielt das Klavier die erste Geige, gibt aber gleich wieder den Stab ab und lässt die Streicher wüten.
Eine Reise im Trauerflor in der kalten Jahreszeit.
Die erklärenden Worte der Musiker zu Beginn des Konzertes – für die die gestrige Aufführung eine Premiere war und die selber noch dabei sind, zu Stück zu entdecken bzw zu verstehen – haben dazu beigetragen, dem Stück ein wenig mehr als sonst näher zu kommen. Eine Flucht, ein unfreiwilliger Aufbruch ins Ungewisse. Dramatisch-wütende Verfolgungsszenen gleiten in melancholisch, samtige Tristesse ab, um dann gleich wieder zu Donner- und Kanonenhall des Pianos und krampfhaftem Weinen der Geigen über zu gehen, bereit, die Zuhörer in große Emotionen zu stürzen. Immer wieder rappelt es sich auf und kommt dann plötzlich ganz tänzerisch daher, von (Trauer)Marschtakten, pastoralen Walzertönen über dumpfen Rock n’Roll des Klaviers zu einem « irischen » Squaredance der Streicher. Im Laufschritt von hoffnungslosen Monologen hin zu hoffnungsvollen Fragezeichen, von wolkenaufreißender, hektischer Helligkeit bis es langsam im Dunkeln aushaucht.
Stille!
Einfach umwerfend, die Musik und die Interpretation. Jetzt bitte ein da capo, um all das zu hören, was aufgrund der großen Klangfarben- und Fülle unterging oder zu schnell verflog.
Weinberg war Sohn eines jüdischen Musikers und studierte Klavier am Warschauer Konservatorium, floh 1939 nach dem deutschen Überfall auf Polen über Minsk und Taschkent, wo er seine Studien fortsetzte. Er verlor seine komplette Familie im KZ, richtig bewusst wurde ihm das allerdings erst 30 Jahre nach dem Krieg. Schon 1943 nahm er Kontakt zu Schostakowitsch auf, der ihn nach Moskau einlud, wo er bis zu seinem Tod bleiben sollte. Die beiden standen in permanentem Austausch über die jeweilige Musik.
In der Oper „Die Passagierin“, die als sein Hauptwerk gilt, arbeitet Weinberg das Thema Auschwitz auf. Sie wurde vor ein paar Jahren – viel zu spät – als Weltpremiere bei den Bregenzer Festspielen aufgeführt.
Weinberg hinterließ ein umfassendes Werk, das einen Bogen von Filmmusik zu Symphonien spannt und man kann schon sagen, von Bela Bartok und Schostakowitsch beeinflusst ist.
Das Noga Quartett gründete sich 2008: Simon Roturier, Lauriane Vernhes (Violine), Avishai Chameides (Viola) und Joan Bachs (Cello) gehören ihm an. Die Musiker sind in verschiedenen großen Berliner Orchestern tätig. 2015 hat dieses ausgezeichnete Berliner Quartett übrigens die 7. Melbourne Chamber Music Competition gewonnen.
Die polnische Pianistin Katarzyna Wasiak stammt aus einer Musikerfamilie und begann schon mit sieben Jahre ihre musikalische Ausbildung in Breslau. In Wien hat sie Musik und Darstellende Kunst studiert und setzte ihre Studium 2006 in Berlin fort (Hochschule für Musik Hans Eisler). Sie scheint verwachsen mit ihrem Klavier zu sein und zeigt durch ihre Körpersprache eine große gleichberechtigte Auseinandersetzung mit jedem Anschlag oder Ton.
Eine Sternstunde am Berliner Konzerthimmel war dieser Abend! Bis Juli soll das Quintett noch weitere Male aufgeführt werden – und wir werden uns das nicht entgehen lassen; eine CD-Einspielung wird es auch geben.
Christa Blenk
Fotos: Am Schlachtensee (März 2018)