Die 1. Generation – Bildhauerinnen der Berliner Moderne
Seit Mitte Februar sind im Georg Kolbe Museum Arbeiten der bedeutendsten und bekanntesten Bildhauerinnen des beginnenden 20. Jahrhunderts zu sehen. Große Künstlerinnen wie Käthe Kollwitz (1867-1956), Renée Sintenis (1888-1965), Emy Roeder (1890-1971) oder Milly Steger (1881-1948) treffen auf weniger bekannte aber nicht minder interessante Frauen wie Sophie Wolff (1865-1944) Marg Moll (1884-1977), Tina Haim-Wentscher (1887-1974), Christa Winsloe (1888-1944), Jenny Mucchi-Wiegmann (1895-1969) und Louise Stomps (1900-1988).
Der Journalist, Schriftsteller und Kritiker Franz Servaes war 1916 noch nicht bereit für diese Frauenpower und äußerte sich nicht wirklich positiv oder respektvoll über die Künstlerinnen. „Milly Steger äfft Lehmbruch nach und Margarete Moll strebt einen Scheußlichkeitsrekord an“. Einzig Käthe Kollwitz fand Gnade vor seinem Auge, ihre Arbeiten nannte er immerhin „sehr innerlich“. Bildhauerei ist halt nichts für Frauen, war damals die allgemeine Meinung einiger der männlichen Künstler, ausgeschlossen hiervon Georg Kolbe und Max Liebermann.
Erst nach dem Ersten Weltkrieg, ab 1919, hatten Frauen das Recht an staatlichen Kunstakademien zu lernen. Angehende Künstlerinnen vor dieser Zeit mussten über finanzielle Mittel verfügen, denn sie waren auf Privatakademien angewiesen. Ein Atelier musste her und teure Grundmaterialen wie Marmor oder Bronze besorgt werden.
Im Eingangsraum des Kolbe-Museums steht die „Tänzerin“ von Milly Steger, eine luftig-kräftige Bronzeskulptur die 1921, da war Milly Steger bereits sehr bekannt. In einschlägigen Kunstlexika bestand sie neben Barlach und Lehmbruck als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der Bildhauerei des 20. Jahrhundert. Sie war keine Berlinerin sondern kam vom Niederrhein und bekam ihren ersten Zeichenunterricht an einer Londoner Privatschule. Der Bildhauer und Lehrer Karl Janssen der Düsseldorfer Akademie entdeckte ihr Talent und gab ihr weiterführenden Privatunterricht. Milly Steger reiste zu Georg Kolbe nach Berlin und zu Rodin und Maillol nach Paris und unternahm Bildungsreisen nach Florenz. Bekannt wurde sie durch einen Skandal, ausgelöst durch vier überlebensgroße Frauenakte an der Fassade des Hagener Theaters. Die im Kolbe Museum gezeigte „Tänzerin“ erklärt auch Stegers Freundschaft mit der Ausdruckstänzerin Mary Wigman.
Emy Roeder wurde 1890 in Würzburg geboren und erlangte neben Milly Steger und Renée Sintenis einen hohen Bekanntheitsgrad. Ihre humanistisch-expressionistischen Arbeiten hinterließen großen Eindruck beim Publikum. Roeder ging mit ihrem Mann, dem Bildhauer Herbert Garbe, 1933 nach Rom. Er bekam dort ein Stipendium an der renommierten Villa Massimo. Den Villa-Romana-Preis 1936 bekam allerdings sie, was ihr ein Jahr Florenz-Aufenthalt bescherte, der aber erst 1944 mit ihrer Verhaftung durch die Besatzer endete, denn die Villa Romana wurde unter der Leitung von Hans Purrmann eine Art Zufluchtsort. Erst 1949 kehrte sie nach Deutschland zurück.
Die Ikone Renée Sintenis war außer Louise Stomps die einzig echte Berlinerin und ihr Berliner Bär wird noch immer jährlich auf der Berlinale verliehen. Ihre Karriere begann als Modell von Georg Kolbe 1910. Eine ihrer erfolgreichen Arbeiten, die Große Daphne (1930), ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Androgyn und ohne Apollo steht sie da mit angewinkelten Knien auf dem Sockel und die nach oben gerechten Arme und Hände verwandeln sich gerade in Blattwerk, wie es die Geschichte will. Eine kleinere Version davon steht heute im MoMA in New York. Immer wieder kommt ihre Tierliebe in den Arbeiten zum Ausdruck und die Skulpturen werden kleiner mit der Zeit. Ab 1922 hat der Galerist Alfred Flechtheim sie vertreten. Mit Plastiken in kleinen Auflagen, die er verkaufte, konnte sie sich sehr gut über Wasser halten. Auch sie wurde 1934 aus der Akademie der Bildenden Künstler ausgeschlossen, da ihre Großmutter Jüdin war. Renée Sintenis war 1955 eine der ersten Professorinnen an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin.
Marg Moll ist 1884 im Elsass geboren ging mit ihrem Mann nach Berlin zu Lovis Corinth und 1907 nach Paris zu Matisse. Molls Arbeiten sind vom Kubismus geprägt und wirken emotionsloser, kälter, minimaler und rufen Assoziationen mit Skulpturen von Brancusi oder Belling hervor. Ihre Arbeiten reduzieren sich oft nur noch auf Material. 1926 ging sie mit ihrem Mann nach Breslau und beide schlossen sich dem Kreis von Oskar Schlemmer oder Otto Mueller an. Dort entstand auch die Plastik „Tänzerin“, aber auch ihre Arbeiten fielen den nationalsozialistischen Säuberungsaktionen zum Opfer. Die Tänzerin tauchte übrigens 2010 beim Skulpturenfund vor dem Berliner Roten Rathaus auf.
Natürlich darf bei diesen Künstler-Frauen die bekannteste, Käthe Kollwitz, nicht fehlen. In Königsberg geboren kam sie mit ihrem Mann, dem Arzt Karl Kollwitz 1891 nach Berlin. 1898 erhielt sie einen Lehrauftrag an der Berliner Künstlerinnenschule und schon 1903 erschien ihre erste Druckgrafik. Auch Kollwitz besuchte Rodin in Paris, zusammen mit ihren Freundin und Kollegin Sophie Wolff, die als „Halbjüdin“ schon 1933 aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen wurde. Kollwitz wurde als erste Frau in die Berliner Sezession aufgenommen und 1913 in den Vorstand gewählt. Kollwitz’ Werk setzt sich vor allem mit Armut und sozialen Missständen auseinander. Ihre Arbeiten strahlen immer eine massive, sorgenvolle Dramatik aus. 1936 wurde sie als „Entartete“ aus der Akademie ausgeschlossen und starb kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Von Käthe Kollwitz kennen wir aber eher ihre Holzschnitte oder grafischen Arbeiten. Sie hat nur 19 Skulpturen gemacht aber dafür zahlreiche Denkmäler. Die Mutter mit zwei Kindern (1926) ist in der Ausstellung zu sehen. Im Vergleich zu ihren Zeichnungen ist diese Plastik rund und obwohl sie eine beschützende Haltung einnimmt, wirkt sie weniger tragisch.
Fast gänzlich unbekannt die Jüngste unter ihnen, Louise Stomps (1900-1988). Ihre Arbeiten kündigen schon die nächste Generation an. Formreduzierte Kompaktheit lässt die Transparenz weichen, ihre Arbeiten erinnern an die ihres Zeitgenossen Henry Moore.
An neuen Portrait-Realisierungen waren sie Alle interessiert. Renée Sintenis Abbild von Joachim Ringelnatz ist grobschlächtig und expressionistisch wie ein Gemälde von Kokoschka und ihre Fingerabdrücke scheinen noch im Lehm erkennbar zu sein, ganz im Gegensatz zu Emy Roeders „Stute und Fohlen“ oder Marg Molls Katzen, die glatt und eben mit dem Blauen Reiter kokettieren. Picasso hat Anfang des 20. Jahrhunderts afrikanische Masken in seine Kunst integriert und sie so salonfähig gemacht. Hier hat sich vor allem Sophie Wolff dafür interessiert. Ihre primordialen, afrikanischen Köpfe sind gleich im ersten Saal zu sehen oder ein wenig später Emy Roeders Bronze-Figurenpallette.
Diese Künstlerinnen trugen ihre Haare kurz oder arbeiteten mit Krawatte und bildeten die erste und beginnende zweite Generation von Bildhauerinnen in Berlin, die sich bei ihren männlichen Kollegen durchaus durchsetzen konnten, Anerkennung und Respekt ernteten, von der Kunstkritik besprochen wurden und deren Arbeiten einen Preis hatten. Sie sind Alle zwischen 1870 und 1900 geboren und waren die ersten Frauen, die auch in der Öffentlichkeit Erwähnung fanden und die auch – wie viele ihrer Künstlerkollegen - in den 1930er Jahren zu Entarteten wurden und deren Arbeiten nicht mehr gezeigt werden konnten.
Wie eine geballte Kraft finden die zehn Künstlerinnen in den Räumen des Kolbe Museums zusammen und beschreiben die grenzenlose Freiheit und ungestüme Wildheit der Moderne in der Weimarer Republik anhand von knapp 100 Exponaten – die zum Großteil aus Privatsammlungen stammen – und die Schau, die noch bis zum 17. Juni 2018 zu sehen ist, allein deshalb schon sehenswert macht. Einen geeigneteren Ort für diese Ausstellung gibt es in Berlin nicht.
Christa Blenk