Michelangelo Pistoletto zu Gast bei Palladio
Spiegel überall!
Die Biennale von Venedig stützt sich in den vergangenen Jahren immer mehr auf die sogenannten »Collaterali« – das sind side events und Parallelausstellungen weit weg von den Giardini und dem Arsenale. In Kirchen und Palazzi findet man oft die interessantesten Installationen oder Künstler.
Dem italienischen Installationskünstler Michelangelo Pistoletto (*1933) stand die komplette Basilica di San Giorgio auf der Isola di San Giorgio Maggiore zur Verfügung. Der große Renaissancearchitekt Andrea Palladio hat sie erbaut. Von Arsenale fährt man also mit dem Vaporetto auf die Insel San Giorgo und das Boot hält direkt vor der Kirche.
Im Innenraum trifft man gleich auf »Love Difference – Artistic Movement for an InterMediterranean Politic ». Die Installation entstand im Jahre 2002 in Cittadellarte (Biella). Diese Stiftung hatte der Weltverbesserer Pistoletto Ende der 1990er Jahre gründet mit dem Ziel den sozialen Wandel durch künstlerische Interaktion zu verbessern, ein Schmelztiegel-Effekt und ein Versuch, Mensch und Natur in Harmonie zu vereinen und beständigere Werte wieder auszugraben. Sehr prominent vertreten eine Spiegelbild-Serie, die während seines Kuba-Aufenthaltes 2015 entstand. Il Tempo del Giudizio (2009-2017) ist eine Tempel-Installation aus Spiegel, Teppich und zwei Buddha-Figuren. Dann, die neueste Arbeit „Colour and Light“ bestehend aus acht Elemente von je 180 x 120 cm, sie entstand 2017.
Terzo Paradiso ( das dritte Paradies) ist ein vielfältiges, welt-übergreifendes und welt-beteiligendes Manifest. Es ruft auf, mit Verantwortung und Solidarität an einer Veränderung der Welt mitzuarbeiten und sie für die kommenden Generationen zu bewahren, wie immer, ist für ihn die Kunst ein Werkzeug, die ökonomischen, sozialen und politischen Zustände zu verbessern.
Pistoletto kommt aus der Arte Povera und ist vor allem bekannt für seine blank polierten Spiegelinstallationen. Unterschiedliche Spiegelmontagen und andere Werke aus seinem 50jährigen Künstlerleben sind dort zu sehen und natürlich darf die „Lumpenvenus“ (1968) nicht fehlen. Sie ist ein Paradebeispiel der Arte Povera: Ganz in weißem Marmor, beugt sich die Schöne über einen bunten Lumpenberg.
Der Zuschauer ist das Kunstwerk, Pistolettos Spiegelflächen haben manchmal sogar einen barocken Goldrahmen aber das Gemälde existiert nur so lange wie der Betrachter in die Spiegel schaut. Sobald man weg sieht, ist das Kunstwerk verschwunden oder hat sich verändert. Es lebt sozusagen, es entsteht und es zerfällt mit unseren Bewegungen. Manchmal zerschlägt Pistoletto seine Spiegel, dann gibt es uns nur noch zerrüttet, defragmentiert.
Pistoletto selber entstammt einer Restauratorenfamilie und hat eine Werbe-Designschule besucht, aber abgesehen davon ist er Autodidakt. Im Kunstgewitter der Nachkriegszeit, in den 1950er Jahren, fängt seine Künstlerkarriere an. Selbstportraits, Objekte, Figuratives und Konzeptuelles. Schon 1960 hat er die erste Einzelausstellung in Turin. 1962 entsteht sein erstes Spiegelbild „Il Presente“ (die Gegenwart) und Pistoletto wird zum bedeutendsten Vertreter der Pop Art in Italien. Dimension, Raum und Zeit sind seine Hauptanliegen. Pistoletto stellt in Europa und in den USA aus und seine Arbeiten werden immer konzeptioneller. Anschließend kommt die Phase der Minusobjekte. Hier stehen Vielschichtigkeit und Zeitumfang im Mittelpunkt. Er ist Mitbegründer der Arte Povera- Bewegung und stellt seine Arbeiten außerhalb der kommerziellen Galerien aus. In diesem Jahr wurde er zum ersten Mal auf die Biennale eingeladen. In den 1970er Jahren kommt die Raumphase ( Le stanze) für die Galerie Stein in Turin. Es folgt die Serie continenti di Tempo (Zeitkontinenten). 2007 bekam er in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Immer wieder steigt er aus dem kommerziellen Kunstgeschäft aus und lehnt sogar ein Angebot des New Yorker Kunsthändlers Leo Castelli ab.
Ohne Pistoletto wäre die zeitgenössische Kunstszene ohne Zweifel sehr viel langweiliger!
Die Ausstellung in der San Giorgio Basilica präsentiert 50 Jahre seines Lebenswerkes (1960-2017) und ist interessanter als das meiste, was diese Biennale zu bieten hatte.
11 Mal insgesamt war er auf der Biennale di Venezia; das letzte Mal 2009 und viermal war Michelangelo Pistoletto auf der documenta in Kassel vertreten.
Auf dem Weg zu Pistoletto
Christa Blenk