Ferdinand Hodler
1908/1909 – Öl auf Leinwand
FERDINAND HODLER – MALER DER FRÜHEN MODERNE
Mit aufgerissenen Augen, streng, fragend, fordernd, die Stirn in Falten gelegt, selbstsicher, schaut er uns an. Das Portrait entstand 1912, da war Ferdinand Hodler 59 Jahre alt. Das Bild ist aus Winterthur nach Bonn gekommen und Hodler hat es auf dem Höhepunkt seiner Malerkarriere gemalt. Eines seiner besten Selbstportrait sicherlich. Auf jeden Fall ein Ergebnis seines Lernprozesses, seines Aufenthalts in Spanien 1879 und der intensiven Befassung mit dem Maler Diego de Velazquez.
Der Veduten-, Postkarten – und Ornamentemaler Ferdinand Hodler, der schon als 12-jähriger die Dekorationswerkstatt seines Stiefvaters leiten muss und der sieben seiner Geschwister an die Tuberkulose verliert, gehört spätestens seit der Jahrhundertwende zu den gefragten, europäischen Dekorations- und Historienmalern und seine Motive werden es später sogar auf den Schweizer Frankenschein schaffen. Obwohl die neutralen Bergbewohner einige seiner Werke als sittenwidrig bezeichnen, darf er die Schweizer Gründergeschichte dokumentieren. Mit dem Wandbild „Rückzug aus Marignano“, das er für das Landesmuseum Zürich malt, wird er auch in Deutschland als größter Monumentalmaler gefeiert.
1889 entsteht das Gemälde „Die Nacht“. Es zeigt sieben schlafende Menschen, Hodler selber liegt zwischen seiner Frau Bertha Stucki und seiner Geliebten Augustine Dupin. Die Genfer Behörden haben Probleme damit, finden es zu gewagt, an anrüchig und lassen es aus dem Genfer Musée Rath entfernen. Max Liebermann hingegen war begeistert und holt es nach München. Damit ebnet er auch Hodlers Weg in die Münchner Sezession. In Paris bekommt der Maler dafür eine Silbermedaille und Bertha Stucki lässt sich später von ihm scheiden. Das Bild „Die Nacht“ ist leider nicht nach Bonn gekommen. Allerdings gibt es ein „Tag“-Bild. Hier hat sich Hodler samt Frauen zwar nicht verewigt, stattdessen tummeln sich drei androgyne Grazien – wie er sie ja so gerne malt – auf einem hellblauen Tuch, das auf einer verzierten Wiese liegt. Ursprünglich waren es fünf Musen, zwei davon hat er aber später aus dem Bild entfernt.
Aus Anlass des 350. Geburtstages der Universität Jena erhält er 1908/1909 einen Auftrag der Gesellschaft der Kunstfreunde von Jena und Weimar, ein Wandbild für die Universität zu malen. Thema sollte der Aufruf Preußens zum Widerstand gegen Napoleon sein und gerichtet hat sich das Petitum an die Jenaer Studenten. Diese hatten 1813 allerdings die Uni Jena verlassen, um sich verschiedenen preußischen Truppen, wie z. B. dem Lützowschen Freikorps in Breslau anzuschließen. Patriotismus und Zusammenhalt, Mut und Aufbruchsstimmung sollte das Bild vermitteln, was es im oberen Teil auch tut. Dort marschieren die Vierergruppen zackig mit geschultertem Gewehr im Gleichschritt. Hodler hat das Bild in zwei Hälften geteilt. Unter der Linie allerdings herrscht alles andere als Bereitschaft oder Ordnung. Sein heroisches Monumentalgemälde vermittelt Zögern und Unlust auf den Krieg. Hier helfen auch die güldenen Messingknöpfe nicht. Diese Soldaten muss man zum Jagen tragen! Einer steigt umständlich auf ein Pferd, ein anderer überprüft die Hufe und der dritte schnallt sich lustlos den Kanister auf den Rücken. In der Mitte des Gemäldes zieht sich ein Landser gerade die schwarz-eingefärbte Jacke an. Auf der rechten Seite hebt ein gut gekleideter Schütze den rechten Arm und marschiert fast tanzend aus dem Bild, hinter ihm ein gesatteltes Pferd ohne Reiter.
Der Jenaer Philosoph Rudolf Eucken hatte ihm seinerzeit den Auftrag erteilt; 5000 Reichsmark haben die Kunstfreunde dafür bezahlt. Euckens Frau soll ihm sogar eine echte Uniform aus Lützow besorgt haben und der 17-jährige Eucken-Sohn Rudolf stand angeblich Modell. Natürlich sorgt dieser Auftrag für Kritik. Seit wann darf ein Schweizer Symbolist ein Sinnbild des deutschen Nationalstolzes malen? Die Leipziger Abendzeitung am 5. Oktober 1907 berichtet dementsprechend: „Auf den Einfall, die Großtat eines Volkes durch einen Ausländer verherrlichen zu lassen, ist wohl bisher noch keine andere Nation gekommen.“
Auch dieser Umstand mag der Grund gewesen sein für die heftige Reaktion, als Hodler 1914 ein Genfer Protestschreiben gegen einen Akt der Barbarei der deutschen Artillerie unterschreibt. Diese steckte kurz nach Kriegsbeginn die Universitätsbibliothek von Löwen in Brand und beschoss die Kathedrale von Reims. Hodlers Jena- Epos, das immerhin ca 600 x 442 cm misst, wird umgehend aus dem Saal verbannt und verschwindet hinter Bretterverschlägen. Man spielt sogar mit dem Gedanken, das Bild zu verkaufen.
Hodler schreibt an seinen ehemaligen Freund Eucken und will klarstellen, dass sich sein Protest vor allem gegen die « Zerstörung eines Kunstwerkes“ gerichtet hätte und nicht gegen Deutschland. Aber ohne Erfolg, seine Bilder werden aus den deutschen Museen entfernt und der Maler Hodler aus allen Künstlervereinigungen ausgeschlossen.
Gerollt kam das monumentale Werk zur Ausstellung nach Bonn, nachdem es lange Jahre weder abgenommen noch transportiert worden war. Ein Film in der Ausstellung erzählt die Geschichte.
Bevor Hodler aber 1914 in Ungnade fällt, bekommt er 1911 – auf Anregung von Liebermann übrigens – noch einen zweiten Großauftrag aus Deutschland. Wieder ein historisches Gemälde, diesmal für das Rathaus von Hannover. Es entsteht „Einmütigkeit“ . Es zeigt den protestantischen Schwur der Bürger von Hannover im Juni 1533 auf dem Marktplatz. Zur Einweihung 1913 kommt sogar der Preußenkaiser ins Hannoveraner Rathaus. Pompöse Männer, den rechten Arm hochgesteckt, verherrlichen den Populismus. Die Szene wirkt aber eher wie aus einem schlechten Peplum-Film, die Schwörenden greifen chaotisch und tänzerisch eher nach den Sternen. Der Redner, den Hodler viele Male vorbereitend malte, ist als Einziger von vorne zu sehen, macht ein wütendes Gesicht und stampft gefühlt mit dem Fuß auf. Ob es dem Kaiser gefallen hat ist nicht dokumentiert – er soll geschwiegen haben!
Hodler hat nicht nur die Schweizer Berge neu erfunden, er hat auch die Historienmalerei ins 20. Jahrhundert geholt und ihr eine neue Dynamik verliehen. Die vereinfachte Reduzierung der Figuren passt gut in die neue Zeit, auch wenn die Figuren klobig und aggressiv wirken.
Aber dann gibt es auch die kleinen Bilder, fast lieblich wollen sie sein, weich und kantig zugleich. Und zwischen tanzenden Frauengruppen und hellblauen Landschaften liegt sie da, seine Geliebte Valentine Godé-Darel. Er hat sie ab 1913 lebend, sterbend und tot gemalt. Verhärmt und scharf geschnitten das weiße Gesicht, wie die Umrisse seiner Berge. Die dicken roten Blutstropfen könnten auch Blumen sein.
Bei den Landschaften fällt es vor allem auf: Blau ist seine Lieblingsfarbe. Dicke Pinselstriche lassen an Van Gogh oder Kokoschka denken. Trotz meist Frühlingsstimmung kommt eine echte, überzeugende Fröhlichkeit nicht auf. Es liegt eine unausgesprochene Dramatik auf seinen Bildern, so als ob gleich etwas passieren würde oder das passierte noch nicht richtig verarbeitet werden konnte.
Immer wieder nimmt er ein schon behandeltes Thema auf und bereitet seine großen Werke mit vielen Studien vor. Man bekommt den Eindruck, dass Hodler zuerst seine Protagonisten nackt malt und sie dann anzieht. Die Kleider kleben am Körper, aber sind doch eher eine Skulptur. Holprig die Linien der pompösen Spröden oder der Axt schwingenden Waldarbeiter.
„Die Heilige Stunde“ (1911) zeigt vier Frauen auf einer Pompeij-roten Bank sitzend. Die beiden Frauen in der Mitte sind blau gekleidet und wirken stolz, autoritär, frei, mit großen Füßen, gar nicht wie Frauen, die kein Wahlrecht haben. Die Frauen links und rechts tragen helle Kleider und sind zierlicher. Sie neigen ihren Kopf nach innen. Alle vier blicken sich nicht an und die Hände sind keine betenden. Das Bild ist mit einer Blumengirlande umrandet. Hodler hat sich hier an einer römischen Wandmalerei orientiert, scheint es.
Seine Personen schauen uns nicht an und diese von ihm so geforderte Fusion des Körperlichen und des Übersinnlichen sowie der Zwang Jugendstil-Ornamente hinzuzufügen, lassen ihn schon mal kurz abrutschen in einen verdrehten, sentimentalen, manieristischen Symbolismus. Seine Landschaften nähern sich im Laufe der Zeit immer mehr Farbflächen, Geschichten – wie auf den Landschaften von früher – erzählt er auf ihnen nicht mehr.
Ferdinand Hodler war ein geschickter Künstler, ein wichtiger Maler zu Beginn der Moderne und hat es oberdrein verstanden, sich selbst zu vermarkten, er war auch ein Geschäftsmann, der gute Kontakte zu Sammlern und Museen pflegte. Er stirbt, sehr wohlhabend, am 19. Mai 1918 in seinem Haus am Genfer See und hinterlässt an die 2000 Gemälde und unzählige Zeichnungen.
Fast 20 Jahre war Hodler nicht mehr in Deutschland in einer umfassenden Ausstellung zu sehen. Die Kuratorinnen Monika Brunner und Angelica Francke haben anhand von rund 100 Gemälden und 40 Zeichnungen – die meisten davon kommen aus der Schweiz – Hodlers künstlerischen Weg nachgezeichnet. Man lernt ihn gut kennen auf den abwechslungsreichen Etappen, zwischen Moderne, Jugendstil und Symbolismus und die Geschichte um den „Fall Hodler“ macht ihn sogar zu einer politischen Figur.
Die Schau in der Bonner Bundeskunsthalle, die in Kooperation mit dem Kunstmuseum Bern entstanden ist, geht noch bis zum 28. Januar 2018 und ist auf jeden Fall sehenswert.
Christa Blenk