Jeanne Mammen
JEANNE MAMMEN (1890-1976)
Caféhäuser, Charleston und Chroniken – flanierende Augenzeugin der Berliner roaring twenties
Jeanne Mammen ist in Berlin geboren und als Tochter deutscher, gut situierter Eltern in Paris aufgewachsen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges machte die Familie zu Unerwünschten, das Vermögen wurde konfisziert und Alle mussten die französische Hauptstadt verlassen. 1916 kamen die Mammens wieder nach Berlin zurück. Da ist Jeanne 24 Jahre alt und hat bereits Kunststudien und Aufenthalte in Paris, Brüssel und Rom hinter sich. In Berlin trifft sie auf schroffe Töne, rauhe Umgangsformen, kalte Winde, Größenwahn, öffentlichen Gehorsam und Armut – dies alles kannte sie aus Paris nicht. Mit Gelegenheitsjobs, Modezeichnungen und Illustrationen für den Simplicissimus, den Ulk und den Junggesellen hält sie sich über Wasser. 1919 lässt sie sich ein einer Atelierwohnung am Kurfürstendamm Nr. 29 nieder, wo sie ihr Leben lang – immer im inneren Widerspruch mit der Stadt - bleiben sollte. Heute ist diese Wohnung der Sitz der Jeanne Mammen Gesellschaft.
Jeanne Mammen dokumentiert das Geschehen auf den Berliner Straßen, in den Cafés und Vergnügungslokalen der wilden 1920er Jahre. Am liebsten malt sie Aquarelle in ihren kleinen Block und diese Arbeiten sind auch ihre Schönsten. 1930 wird anlässlich einer erfolgreichen Einzelausstellung in der Galerie Gurlitt die Berliner Kunstwelt auf sie aufmerksam. Mammen saugt alle bekannten Kunsttendenzen auf. Die malt symbolistisch und expressionistisch; Bilder wie Die Schachspieler (1929) sind der Neuen Sachlichkeit zuzuordnen. Sie kokettiert mit dem Verruchten, dem nicht-angepassten und dem Verbotenen, wie das in dem Aquarell Die Verworfene (1929) zu sehen ist.
Ihre Frauen tragen den typischen Topfhut, ein knieumspielendes Charleston-Kleid oder lange Hosen, natürlich eine kurze Bubikopf-Frisur oder einen Herren-Zylinder. Ausgelassen und sorgfältig zurecht gemacht, wird getrunken, gelacht, Shimmy und Charleston getanzt – auch außerhalb der Karnevalszeiten. Sie verkörpert und dokumentiert eine neue Frauengeneration, eine selbstbewusste, Frauen die zur Wahl gehen dürfen und einen Beruf haben, Frauen, die keinen Mann mehr brauchen um anerkannt zu werden, Frauen, die alle ranzigen Moralvorstellungen abgelegt haben und im Großstadt-Dschungel mitspielen.
In Paris hat sie natürlich auch die Arbeiten von Henri Toulouse-Lautrec kennen gelernt und wie dieser die französische Gesellschaft in seinen Arbeiten festhielt, macht sie das in Berlin: humoristisch, kritisch, ironisch und nicht so politisch wie dies die Neue Sachlichkeit verlangte, bei ihr scheint immer wieder eine französische Leichtigkeit durch.
Die Schachspieler (1929); Café-Terrasse in KaDeWe (1935), Photogene Monarchen (1967)
Ab Mitte der 1930er Jahre kann sie ihre Werke nicht mehr zeigen und zieht sich zurück. Nach dem Krieg entstehen glitzernde, kubistische und expressionistische Arbeiten, das Figurative verschwindet komplett. Jetzt malt sie wie Paul Klee, Matisse, Fernand Leger, die amerikanischen Expressionisten und natürlich wie Picasso – vor allem seine Guernica-Serie hat sie beeindruckt. Richtig an die künstlerische Oberfläche kommt sie aber bis 1971 nicht mehr. In diesem Jahr werden ihre Frühwerke mit großem Erfolg in Hamburg und Stuttgart gezeigt.
Jeanne Mammen stirbt am 22. April 1976 in Berlin.
Die Ausstellung ist die erste große Retrospektive seit einer wichtigen Ausstellung 1997 im Berliner Martin-Gropius Bau. Sie umfasst 170 Arbeiten aus über 60 Schaffensjahren.
In der Berlinischen Galerie ist die sehenswerte Ausstellung noch bis zum 15. Januar 2018 zu sehen.
Christa Blenk