7 juin 2017 0 Commentaire

Hanne Darboven – Korrespondenzen

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 Saal mit Arbeit von Richard Long

 

Korrespondenz für die Öffentlichkeit
… und die Zeit fließt

Die Hamburgerin Hanne Darboven (1941-2009) war eine barocke Konzeptkünstlerin, was so gesehen ja schon einmal eine Unmöglichkeit darstellt. Sie war eine extravagante Einzelgängerin, eine unermüdliche und kompromisslose Sammlerin und Jägerin von Buchstaben, Wörtern, Zahlen, Daten, Noten,  Gegenständen! Kurz: nicht einzuordnen.

Susanne und Michael Liebelt haben der Nationalgalerie Werke aus allen Schaffensphasen der Künstlerin überlassen. Diese Zeichnungen, Zahlenkonstruktionen oder seriellen Bildfolgen, die sich mit der Minimal und Konzeptkunst auseinandersetzen, werden seit Mitte Mai im Hamburger Bahnhof gezeigt; begleitet von ca 1100 Briefen und Postkarten von und an die Künstlerin zwischen den Jahren 1967 bis 1975, die ein dichtes Netzwerk von Künstlern, Kunstschaffenden, Freunden oder Galeristen preisgeben, die Hanne Darboven vor ihrem Tod der Öffentlichkeit vermachte. Diese Korrespondenz für die Öffentlichkeit bestärkt ihren obsessionellen und enormen Schreibzwang ein weiteres Mal. Postkarten, Briefe, Zettel, Botschaften an ihre Mutter etc. Zum Teil ganz banale, alltägliche Kommunikation. Die Postkarten bilden eine Art Reigen. Sie erhält I Got Up Postkarten und I am Still Alive-Nachrichten und kommuniziert selber ihre Ideen und Projekte oder ihren Alltag (also genau das, was man heute Freunden über Facebook mitteilt wie „Hanne am Flughafen“ mit dem dazugehörigen Selfie). Diese Karten wurden, sortiert nach Briefpartner und Eingangsdatum, eingerahmt und der Maxi-Wunderkammer, spricht ihrer Wohnung, einverleibt. Eine Art musikalische Komposition, die im Verlauf der Zeit rhythmischer und strukturierter wird, unterbrochen von Wiederholungen und Variationen bis zum unvermeidlichen da capo. Sie verschickt  ihre Postkarten von New York aus, alle anderen Orchestermitglieder, sprich Künstlerfreunde oder Kuratoren, versenden ihrerseits Botschaften nach Hamburg.

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Darboven hat Briefe abgeschrieben oder kopiert. Hauptzielt immer wieder, das Chaos (der Welt oder ihres) zu ordnen.  Dabei geht es nicht um Inhalte sondern um die Bewegung der Karten an sich, wie lange sie brauchen, bis sie ihren Bestimmungsort erreichen, wie der Empfänger sie aufnimmt, ob er sie aufhebt und was er sonst damit macht. Ein von ihr entwickeltes System der Quersummenberechnungen von Tagesdaten in den 1960er Jahren – nach einem Aufenthalt in New York – sollte von diesem Zeitpunkt an den Grundstock ihres Künstlerdaseins bilden.

Die Zeit einfangen, sie verändern, stoppen oder sie anders laufen lassen. Begriffe wie Arbeits- und Freizeit kamen in ihrem Vokabular eher nicht vor. Es zählte nur das Ganze (Leben heißt Schaffen) als Kunstwerk an sich.

Überraschend und informativ ist der in der Ausstellung gezeigte knapp 50 Minuten-Film vom Michael Liebelt und Elke Bippus. Er zeigt eine Hanne Darboven, der man den sauberen und rigorosen Minimalismus und den Kampf, Ordnung in das Weltchaos zu bringen, nicht glauben kann. Hier ist sie wieder, die Sammlerleidenschaft, aber es sind keine geschriebenen Worte oder Buchstaben sondern Gegenstände, Puppen, Stofftiere, Muscheln, Musikinstrumente etc. Ein Zimmer voller als das andere. Der Film ist fast tonlos, nur ab und zu gibt sie, kettenrauchend den Filmemacher durch ihr Horror vacui Kuriositätenkabinett begleitend, ein paar Anweisungen, was gefilmt werden soll oder erklärt kurz einen Gegenstand.

Das Korrespondenzen-Projekt kommt dem Zustand ihres Ateliers am nächsten. Hier werden Emotionen und Gefühle freigelegt wie sie jeder andere auch ausdrücken könnte. Der mechanisch und gefühllos schreibende Android-Roboter-Mensch entfernt sich irgendwo im Universum. Ihre Handschrift ist nicht immer gleichmäßig, der Name von Beuys ist sogar einmal falsch geschrieben,  Wörter oder Buchstaben einfach durchgestrichen. Aber dann kommt der Control Freak wieder hervor. Bei den Namen stehen Haken in grün oder rot, Striche, Hinweise für sie. So nach dem Motto „Herr B bekam eine Karte zu Weihnachten auf die aber noch keine Antwort einging“ – also ist diese Position noch als offen gebucht.

Der Rückzug 1975 in ihr Elternhaus am Burgberg (Nähe Hamburg) beschloss die Korrespondenz-Serie und war gleichzeitig die Geburtsstunde der Schreibzeit, die auch wieder einige Jahre dauern sollte.

 

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 Ohne Titel 1970/2002

 

Auf den ersten Blick denkt man an eine mathematische Formel. 1+1+7+4 = 13K (K steht für Konstruktion). Sie nahm sich die Freiheit, Mathematik zu verleugnen „Zahlen sind nicht Mathematik‘“. Vielleicht war sie als Kind fasziniert von den Kaffeebohnen des elterlichen Handels, vielleicht wollte sie hier schon Ordnung in die Säcke bringen?

In Zusammenarbeit mit Musikern hat sie bei ihren eigenen musikalischen Kompositionen Zahlensysteme in Notenfolgen umgewandelt, die ihr fiktives, enzyklopädisches und ideell-imaginäres Universum erweitern.

Schreiben, solange es Papier gibt

Man kämpft sich durch die Räume und kann durchaus versinken in ihrer unerschöpflichen und langweiligen Universalität, die Rätsel aufgibt und uns einfach nur sagt, dass wir sie nicht verstanden haben. Darboven mutet dem Betrachter viel zu. Man muss sich entscheiden, wie viel von der Zeit, an die sie andauernd erinnert, man selber vergeuden oder verbrauchen möchte, um sich mit ihrem persönlichen Werk,  ihren Zeit-Dominanz-Zwängen auseinander zu setzen. Stundenlang soll man lesen, was sie dazu aufgeschrieben oder abgezählt hat, wie viele Hefte sie mit wie vielen Schlingen gefüllt und wie viele Texte sie einfach nur abgeschrieben hat. Ihre Kunst ist eine Rund-um-die-Uhr-Beschäftigung,  aber vergeht die Zeit dadurch nicht noch schneller! Wenn man sie sozusagen begleitet und mit jedem Strich bestärkt. Wie lange dauert es, ein Gedicht abzuschreiben oder einen Brief zu kopieren? Ist sie da nicht einem Trugschluss erlegen, ist der Zeitstoppversuch zur grandiosen Zeitfalle geworden. Aber ab und zu hat sie auch nicht ganze Bücher abgeschrieben! Es existieren Postkarten oder Zettel auf denen sie ihre Mutter bittet, Lichtpausen zu erstellen.  

Begleitet wird sie auf dieser Ausstellung von ihren Freunden Carl Andre, Daniel Buren, Bern und Hella Becher, Gilbert & George, Jan Dibbets, On Kawara, Sol Lewitt oder Panamarenko. Auch vom britischen Land-Art-Künstler Richard Long (*1945) ist eine Arbeit dieser Ausstellung integriert.  Der Düsseldorfer Galeristen Konrad Discher hat die beiden schon sehr früh zusammen ausgestellt.  Auf der documenta  5 (1972) war sie gemeinsam mit Long, Sol LeWitt und Agnes Martin vertreten. 

„I am making Maximal Art“ hat sie einmal gesagt und erklärt, ganz unbescheiden, ihre Wohnstätte zu einem ubiquitären Ort, der überall und nirgendwo ist – sondern utopisch!

2009 ist Hanno Darboven im Alter von 68 Jahren zurückgezogen auf ihrer Burg verstorben.

Bis zum 27. August  ist die Ausstellung noch zu sehen. Gabriele Knapstein, Petra Lange-Berndt & Dietmar Rübel haben sie kuratiert.

Bericht über eine Ausstellung in Madrid

Christa Blenk

 

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