Alfred Flechtheim im Museum Kolbe
Kunsthändler, Sammler und Verleger Alfred Flechtheim (1878-1937)
Alfred Flechtheim lebte für die Kunst. Er war ein Mensch, die mit einem Blick erkannte, was gut und ausstellungs- bzw. sammelnswert war. Er gehörte einer heute ausgestorbenen Kategorie von Kunsthändlern an (wie auch der Stuttgarter Daniel-Henry Kahnweiler), die viel, viel mehr waren als nur Galeristen. Sie entdeckten und förderten die Künstler, in die sie Vertrauen hatten, zahlten ihnen Gehälter, damit diese arbeiten konnten. Heutzutage ist das eher der Einzelfall! Ohne Persönlichkeiten wie Flechtheim, wären Kunst und Künstler um die Jahrhundertwende bis in die 1920 Jahre einen ganz anderen Weg gegangen! Für den Münsteraner Sammler, Mäzen, Verleger und Weltmann Flechtheim war der Kunsthandel nicht nur ein Geschäft: Kunst war sein Lebenswerk! Flechtheim diktierte praktisch was Wert hatte und was nicht. Weltoffen und weltgewandt bewegte er sich fließend vier Sprachen sprechend sicher auf jedem Parkett.
Schon während seiner Hochzeitsreise gab der selber nicht Unvermögende so viel Geld (seiner Frau) für Kunst aus, dass sein Schwiegervater gleich eine Gütertrennung vereinbarte. Flechtheim besaß zu Kriegsbeginn 1914 bereits unzählige Frühwerke von Picasso, Jawlensky, Kandinsky, van Gogh, Léger, Cézanne, Matisse oder Munch und vieler anderer Avantgardefranzosen. Der Sammler und Kaufmann in ihm widmete sich so manches Duell. Seine erste Galerie eröffnete er in Düsseldorf. 1921 kam er nach Berlin und gründete mit dem Bruder des Galeristen Kahnweiler, Gustav Kahnweiler, die Galerie Flechtheim am Lützowufer, dort entstanden auch die Kunstzeitschriften Querschnitt und Omnibus.
Flechtheim war eine schillernde Figur im Berliner Leben. Man wollte in seinem Umfeld sein, dazu zu gehören! Flechtheims Veranstaltungen waren bald stadtberühmt und seine Soirées the place to be! Die Vernissagen oder Kostümfeste in den Berliner Galerieräumen waren legendär und Treffpunkt von Kultur, Gesellschaft und Politik. Er war Teil der roaring twenties!
Aber es gab auch kritische Stimmen über ihn wie z.-B. das der Dichterin Else Lasker-Schüler. Für sie war Flechtheim ein ehrgeiziger Kunsthändler, dem es egal sei ob er mit Kunst oder Pelzen handeln
Die Ausstellung im Georg Kolbe Museum zeigt einige Werke, die er entweder sammelte oder an Privatpersonen oder Museen vermittelte. Eine kleine Ausstellung, aber sehr aussagekräftig und vielsagend. Alles was Rang und Namen hatte in der Zeit zwischen den zwei Kriegen stellte irgendwann bei Flechtheim aus. Barlach, Belling, Lehmbruck, Breker, Degas, Sintenis, de Fiori, Maillol und natürlich Kolbe, der ursprünglich von Cassirer vertreten wurde und erst nach Cassirers Selbstmord 1926 sich Flechtheim anvertraute.
Rudolf Belling hat 1927 ein Portrait von ihm in Bronze gegossen, das wohl als eines der originellsten angesehen werden kann. Das Gesicht ist auf Nase, Mund, Stirn reduziert, Felchtheim ist aber ohne Zweifel – auch aufgrund seiner unverkennbaren Nase – sofort zu erkennen. Vom russisch-jüdischen Bildhauser Moissey Kogan, mit dem Flechtheim auch privat befreundet war und den er des Öfteren ausstellte, ist ein Torso aus Lübeck ausgestellt. Flechtheim hat so einige seiner Arbeiten an deutsche Museen vermitteln können. Kogan kam 1943 in Auschwitz ums Leben. Auch Bellings Dreiklang ist ausgestellt und das Kolbe Museum baut hier eine Brücke zum Hamburger Bahnhof, wo gerade eine sehr umfangreiche Belling-Ausstellung zu sehen ist.
Zwei Arbeiten von Degas – eine Tänzerin aus 1888 vom Städel Museum und eine Tänzerin in Ruhestellung um 1920 aus der Kunsthalle Bremen sind zu bewundern. Flechtheim stellte 1926 in seiner Berliner Galerie 73 Skulpturen des Franzosen Degas aus, was einer kunsthistorischen Sensation gleich kam, denn Degas selber versteckte seine Skulpturen vor der Welt und war deshalb als Bildhauer komplett unbekannt. Erst nach Degas Tod fand man an die 150 recht gut erhaltene Wachsmodelle von kleinen Plastiken, vor allem Tänzerinnen und Pferde. Auch Aristide Maillol gehörte zu Flechtheims Lieblingen und ist in der Ausstellung mit zwei Werken vertreten. Die Hockende (1926) aus der Hamburger Kunsthalle und eine Badende (1898) aus einem Privatbesitz. Der Pariser Kunsthändler Ambroise Vollard übertrag in den 1920er Jahren die Gußrechte einiger Skulpturen Maillols an Flechtheim und auch aus diesem Grund, sind viele seiner Werke in deutschen Museen zu sehen.
Wilhelm Lehmbruch gehörte schon vor dem Ersten Weltkrieg zu den bekannteren Künstlern. Die Kniende entstand 1911 und wurde 1913 auf der berühmten Armory Show in New York gezeigt. 1955 wurde übrigens gerade diese Skulptur in der ersten documenta in Kassel präsentiert. Flechtheim und Lehmbruck lernten sich bereits 1906 in Paris kennen. In der Ausstellung ist ein Torso von 1914 zu sehen, er gehört dem Kolbe Museum.
Ernst Barlach zählt heute zu den größten deutschen Bildhauern um die Jahrhundertwende. Paul Cassirer hatte ihn schon vertreten. In der Ausstellung ist der Zweifler von 1930 zu sehen. Barlach verstarb 1937.
Viele der hier gezeigten Exponate hat Flechtheim in den 1920 er Jahren an die unterschiedlichen Museen verkauft, so kommt die Bronze von Ernst Barlach aus dem Städel Museum Frankfurt. Auch der junge und vielversprechende Arno Breker gehörte zu Flechtheims Künstlern und fertigte u.a. auch ein Portrait von seinem Künstlerkollegen Moissey Kogan. Er wurde später der Lieblingskünstler der Nazis und ab 1936 auch durch die Olympischen Spiele zum sogenannten Staatskünstler des Dritten Reiches. Seine Bronze Skulptur Kniende entstand 1927 in Frankreich und zeigt Brekers Bewunderung für die Franzosen.
Ein weiterer Schützling Flechtheims war der Österreicher Ernesto de Fiori. Die beiden lernten sich 1910 bei Thea Sternheim kennen. Auch De Fiori folgte ihm von Düsseldorf nach Berlin und gehörte zu Flechtheims engeren Kreis; die Verbindung dauerte bis zu Flechtheim Flucht nach England 1933. In der Ausstellung sind die Werke Männliche und Weibliche Karyatide zu betrachten. De Fiori bekam 1924 den Auftrag von Max Reinhardt für sein Theater am Kurfürstendamm für sechs Karyatiden, die er aber später wieder entfernen ließ, weil sie zu sehr die Aufmerksamkeit es Publikums auf sich zogen. Er verkaufte zwei davon an das Düsseldorfer Kunstmuseum und zwei weitere an den Sammler Hermann Lange, der diese für sein Haus wollte, das Mies van der Rohe in Krefeld entwerfen sollte.
Ein Kapitel der Ausstellung ist dem Thema Kunst und Sport gewidmet. Bewegung und Ausdruckstanz nahmen eine feste Rolle in den 1920er Jahren ein. Flechtheim selber war ein begeisterte Sportanhänger und Mitglied in mehreren Sportvereinen. In seinen Zeitschriften Querschnitt und Omnibus erschienen Artikel über Sportveranstaltungen neben Kunstkritiken und sehr profunden Artikeln von ihm selber, Sportfotografien oder neuer Poesie. Der Boxkampf faszinierte ihn sehr, aber nicht nur ihn. In den 1920 gehörte es zum Zeitgeist, Boxkämpfe zu besuchen. Intellektuelle, Künstler und die höhere, finanzstarke Gesellschaft versammelten sich mit den Boxfans um den Ring. Max Schmeling, der zwischen 1930 und 1932 Weltmeister im Schwergewicht war gehörte zu Flechtheims Freundeskreis. In der Ausstellung ist die Bronze von 1929 von Max Schmeling zu sehen, die der Berlinischen Galerie gehört. Ernesto de Fiori hat 1923 den amerikanischen Boxweltmeister im Schwergewicht Jack Dempsey in Bronze gegossen. Marlene Dietrich saß de Fiori ebenfalls Model, bevor sie endgültig in die USA ausreiste. Renée Sintenis spielte auch gesellschaftlich in Berlin eine wichtige Rolle und war ebenfalls eine Anhängering des Sports. Von ihr sind vier Skulpturen aus den 1920 er Jahren zu sehen, darunter der finnische Mittelstreckenläufer Paavo Nurmo, der als der schnellste Mann seiner Zeit galt.Aus Querschnitt
1929 im Oktober, am schwarzen Freitag, ging auch der Kunsthandel – vor allem der entartete und verfemte – unter und für Flechtheim begann der persönliche Zusammenbruch und Verfall. Der beliebte und prominente Jude sah sich Diffamierungen ausgesetzt und seine Berliner Galerie geriet 1933 in Konkurs. Den Nazis war dieser offene, jüdische Galerist und Weltmann natürlich ein Dorn im Auge, unbeugsam, wollte er von seiner Kunstpolitik nicht ablassen. „Ich habe gestern Berlin und zwar für immer verlassen. Meine Galerien da und in Düsseldorf werden geschlossen. Kein Platz mehr für mich (…) Hätte ich mich nicht mit Hofer, Kolbe, Renée (Sintenis) Klee, mit den Franzosen beschäftigt kümmerte man sich nicht um mich, ja , man hat mir angedeutet, dass, wenn ich auf diese Künstler verzichtete, ich ruhig weiter Kunsthändler sein dürfte!!! Dann lieber richtig arm im Ausland als Verräter“ - schrieb er im Oktober 1933 .
Flechtheim reiste zuerst nach Paris und London wo er sich langsam wieder etwas aufbaute, verstarb aber 1937 an einer Blutvergiftung; seine Witwe, Betty begann 1941 Selbstmord, und die Werke, die er nicht vorher schon ins Ausland bringen konnte, wurden praktisch verschleudert, aufgelöst und gelangten unter ungeklärten Umständen in fremden Besitz bzw. wurde von der Gestapo beschlagnahmt. Die Kuratorin Julia Wallner hat bei der Schau darauf geachtet, nur Werke klarer Herkunft auszustellen.
Bis zum 17. September 2017 ist die Ausstellung Alfred Flechtheim. Kunsthändler der Moderne noch im Berliner Kolbemuseum zu sehen und unbedingt sehenswert!
Christa Blenk