Unerhörte Musik – e-werk

Vier Gitarristen auf der Suche nach einer Note
e – w e r k: electric attack #2 | stars ‘n bells
Was man alles aus einer Gitarre herausholen kann und wie viele Un-Gitarrenklänge es gibt, haben wir gestern Abend im BKA bei der immer wieder stimulierenden dienstäglichen „Unerhörten Musik“-Reihe erfahren. Unerhört ist diese Musik allerdings nicht – höchstens unerhört!
Das Quartett e – werk (Jörgen Brilling, Frédéric l’Epée, Erich Schachtner und Andreas Willers) ist am letzten Dienstag dort aufgetreten; es war das zweite von vier vorgesehenen Konzerten. Mit Eigen-Kompositionen von Andreas Willers und Frédéric L’Epee sowie Werken von Eve Beglarian, Elliott Sharp, Sidney Corbett, Jacob ter Veldhuis, Christoph Funabashi und Victor Coltea führten uns die vier verkabelten Ausnahme-Musiker durch die Unendlichkeit und die Möglichkeiten des elektronischen Klangwaldes und präsentieren neue und fremde Klänge, konfrontierten aber auch mit bekannten und lautmalerischen Geräuschen wie z.B. bei dem heftigen Streit von L’Epees Komposition Crimes. Er hat es 2001 komponiert. Rasender Streit, blitzartige Meinungsverschiedenheiten und hysterisches Gekreische enden ganz klar tödlich für einen oder vielleicht sogar für alle Beteiligten.
Eve Beglarians The Garden of Cyrus heisst ihr erstes wichtiges Werk. Es entstand in den Jahre 1984-86. Elliott Sharp hat uns mit Akheron in die Unterwelt geschickt. Er hat diese Totenmusik 2014 komponiert; das Stück wurde in Deutschland gestern zum ersten Mal aufgeführt. Im Vergleich zu Akheron war Malik von Sidney Corbett fast konventionell. Ruhig und bestimmt bewacht der Engel Malik das Höllenfeuer und lässt niemanden hinein. Ab und zu züngeln ein paar Flammen, aber er hat die Situation unter Kontrolle und wird seiner Aufgabe gerecht.
Bei der Komposition von Victor Coltea Sketches of an electric time travel (2012) ging es auch um einen Kampf, allerdings hier mit dem Instrument und zum Schluss bekam die Gitarre sogar einige Schläge ab.
Andreas Willers hat 2008 für E-Gitarre solo das Stück Drowning Migrant komponiert. Hier ist zum Schluß mindestens die Titanic unter gegangen. Ein Kampf mit dem Wind, dem Salzwasser, mit scheppernden Schiffsmotoren, Kälte und Hoffnungslosigkeit. Dieses Stück war erschütternd. Willers selber beschreibt es mit den Worten „hochartifiziell, aber nicht-destrukitiv“, den er mit „extremen zeitverschiebenden Digitaleffektalgorithmen umzusetzen versuchte“.
Sehr spannend, interessant und musikstilübergreifend die Uraufführung von Toccata (2015) von Christoph Funabashi für E-Gitarrenquartett. Kammermusik und Rock haben sich hier einvernehmlich getroffen. Die Klänge wurden fast ausschließlich mit einer Stimmgabel auf den Gitarrensaiten erzeugt.
Jacob ter Veldhuis’ Postnuclear Winterscenario No 2 entstand 1991/93 für E-Gitarre solo. Es skizziert eine monotone, niederschmetternde, falsche und beunruhigende Harmonie, die mit Glockenschlägen in einen apathischen Gefrorenenzustand überleitet. Ter Veldhuis hat hier seine Empfindungen nach dem Golf-Krieg Ausbruch verarbeitet.
Frédéric l’Epee beschreibt mit der Ètude Campanologique No 3 (2015) für E-Gitarrenquartett ein vielseitiges Glockenspiel zwischen Himmel und Hölle. Dieses Werk und auch das Stück von Andreas Willers SternA (2019) wurden gestern uraufgeführt. Willers und die anderen haben sich hier sehr amüsiert, ausgetestet und konzentriert sich wieder gefunden. Unzählige Sirenen in einer großen Stadt setzen unterschiedlich ein und müssen sich bemühen, doch gleichzeitig am Einsatzort anzukommen.
Anstrengend spannender Konzertabend.

Christa Blenk
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