2 avril 2017 0 Commentaire

Faust – Frank Castorfs Abschiedsveranstaltung an der Volksbühne

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Eingang zur Hölle (eine Referenz an Fellinis 8 1/2?)

 

Unsortierter Puzzle-Zitatenberg aus der Faust-Bouillabaisse

« Irgendeinen Sinn muss das Ganze doch haben. Was bedeutet es? Und wenn es nichts bedeutet, warum dauert es dann so lang? »

Dieser Satz wurde im zweiten Akt zu einem der großen Lacher in diesem unabhängigen, berauschenden, unvergesslich-ausschweifenden, politisch-antikapitalistischen, witzig und sehr musikalischen, akrobatischen, überladen- ausuferenden und imponierend-strapaziösen Roadmovie Faust der mit der Büchse der Pandora unterwegs ist und in Paris spielt vor dem Hintergrund des Algerien-Unabhängigkeitskrieges. An- und Abfahrtsort ist die Metrostation „Stalingrad“.

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“

Immer dann, wenn man gerade dabei war zu vergessen, dass es um den Faust geht oder überhaupt vergessen hat worum es eigentlich geht, kommt wieder ein Goethe-Zitat daher gebrüllt und stellt unsere kleine Welt wieder gerade.

Jaques Brels „Ne me quittez pas“ singt – in deutscher Fassung – Gretchen/Helena (Valery Tscheplanowa) gleich zu Beginn  indem sie versucht ihre Hand aus dem Reagenzglas mit dem Embryo zu ziehen. Eine der Andeutungen auf den Abschied von Frank Castorf, der nach 25 Jahren die Volksbühne verlässt. Eine gloriose Abschiedsveranstaltung mit vielen bedeutenden Volksbühnen-Darsteller  wie  Martin Wuttke, Marc Hosemann, Valery Tscheplanowa, Sophie Rois oder Alexander Scheer. Sogar vor dem Theater findet eine Art Abschiedshappening statt und vor dem großen Rat – das übrigens auch weg soll – steht ein mit Blumen geschmückter Sarg auf dem Danke steht“.

Castorf bedient sich in diesem Faust-Pool wann immer es ihm gerade in den Sinn kommt – was nicht unbedingt immer Sinn machen muss oder dieser sich dem Publikum nicht immer erschließt. Er lässt uns aber trotzdem nicht los oder zur Ruhe kommen, obwohl durchaus ein gewisser Castorf-Sadismus dem Publikum viel abverlangt und man bei einigen gewollten Längen schon mal den Rücken spürt und sich das Ende herbei wünscht! (wie sagte Andy Warhol einmal von einem seiner Filme sprechend?: Wenn sie drei Stunden aushalten können – gib’ ihnen sieben!) Das dauert aber meistens nicht lang genug und dann kommt wieder ein origineller Peitschenschlag oder eine komische Einlage, ja, es gibt durchaus Lacher in diesem Faust und wäre das Stück hier vier Stunden kürzer, hätte es Unterhaltungstheater pur werden können. Aber diese Ambition kennt Castorf nicht! Er sagt ja selber, dass man mit dem Faust alles anstellen könne.

„Werd’ ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!

Martin Wuttke ist noch viel mehr als großartig, vielleicht seine beste Rolle. Er ist einmal ein hässlicher Sabbergreis, ein ernst-trauriger Faust, ein ängstlich-unsicherer Pudelhalter, ein bombenlegender Partisan in der U-Bahn und ein schelmisch mit quietschendem Kinderdreirad und die algerische Flagge schwingend über die Bühne fahrend Trauriger – mit Zylinder, mit Greisenmaske, singend, tanzend oder mit Iggi Pop Langhaarperücke. Irgendwann zu Ende hat er auch plötzlich die Augen des Hölleneingangs! Immer gehen seine Monologe durch Mark und Bein und erschüttern, aber er bringt uns auch zum Lachen. Er ist der Mittelpunkt des Abends und immer wenn er auftaucht, wenn es noch glänzender.

Brillant das Ende des ersten Aktes wenn er mit der Hexe (Sophie Rois) zum Akkordeonspiel von Sir Henry einen Tanz hinlegt. Es gehört zu den Highlights des Abends. Rois beendet den ersten Akt mit dem   »Leiermann » aus Schuberts « Winterreise ». Von Bühnengeschichts-Höhenpunkten und von Schicksalsstunden wird hier gesprochen. Ein großartiges Gespann, die Beiden. Leider taucht Sophie Rois im zweiten Teil nicht mehr auf.

Marc Hosemann ist fantastisch in der akrobatischen Rolle des Mephistopheles und nimmermüde, wenn er sich wie ein  Tarzan durch die Pariser U-Bahn schwingt.

  »Der Worte sind genug gewechselt. Lasst mich auch endlich Taten sehn. » Sagt Lord Byron (Alexander Scheer). Er imitiert gleich zu Anfang einen Stepptänzer-Theaterdirektor der sich mit flämischem Akzent über das provinzielle Programm auf deutschen Bühnen lustig macht, wofür er von Faust-Wuttke in Slapstick-Manier ein Glas Bier auf den Kopf gekippt bekommt. Eine Anspielung auf den ankommenden Direktor? Lord Byron muss dafür für den Rest des ersten Aktes mit einer nassen Jacke rumlaufen.

« Was willst du dich denn hier genieren? Musst du nicht längst kolonisieren“

Der Theaterdirektor ist Daniel Zillmann und er schikaniert seine Truppe nicht schlecht, brüllt sie an, droht mit Schließung und Schlägen – immer dem Herzinfarkt nahe!

„Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?“ –„Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn.“

Am  Ende von Faust II das heißt „Das Unbeschreibliche – Hier ist’s getan – Das Ewig-Weibliche – Zieht uns hinan“ ist praktisch die ganze Zeit in Form von vier Glitzerfrauen-Grazien (Lilith Stangenberg, Hanna Hilsdorf, Thelma Buabeng und Angela Guerreiro) präsent, die einen kurzen Exkurs in  Zolas Nana Kurtisanenmilieu machen und damit beschäftigt sind, sich von den Enttäuschungen und Verletzungen der Männer zu erholen und sich gegenseitig aufzubauen.  Ansonsten werden u.a. auch Shakespeare und Celan, Jaques Brel, Bob Dylan und immer wieder auch die Musik von Gounod und Wagner zitiert.

Auf die Frage „Wer hat denn noch die Wette gewonnen“? rattert Helena statistische Zahlen herunter und das Ende scheint noch doch noch nicht in Sicht zu sein. Es ist mittlerweile die siebste Stunde, ca. 0.30 Uhr und Wuttke spricht die Drohung „wir haben ja noch ein wenig Zeit“ aus. Dann ist plötzlich wieder viel Aktion auf der Bühne und wir sind froh über diese Androhung!

Alexander Denic hat eine Drehbühne aus post-war, no-future und Caspar Hauser Stall auf der Bühne verschachtelt (der ein wenig an eine Castorf Inszenierung der „Kameliendame“ im Pariser Odeon-Theater vor ein paar Jahren erinnert). Im Mittelpunkt einmal er Eingang zur Metro Stalingrad und natürlich in die rot leuchtende Spelunkenhölle. Der Zug hält nur, wenn man die Notbremse zieht, weil man aussteigen will oder eine Bombe noch schnell rauswerfen muss. Aber die Haupthandlung spielt sich eh auf dem großen Bildschirm ab, über den die Darsteller live gefilmt werden. Ansonsten wird eine Ausstellung über Kolonialismus in Marseille 1906 angekündigt und man sieht Kinoplakate für Horrorfilme.

 

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nach der Aufführung

 

Das Programm des Abends trägt den Titel „Wie man ein Arschloch wird“ und darin geht es um Kapitalismus und Kolonisierung. Castof selber lässt sich in einem längeren Text darüber aus, dass er gerne noch mit Bert Neumann etwas über Döblins Amazonas-Roman gemacht hätte. Einen großen Fluss durch das ganze Haus wollte er installieren, um sich über Ausbeutung durch die Spanier (Karl V) in Südamerika auszulassen. Das wäre sicher ein gewaltiges Oeuvre geworden und die Zuschauer hätten dann ihre Garderobe nicht abgegeben sondern wären mit einen Neopren-Anzug ausgestattet worden, um die sieben oder acht Stunden im kalten Wasser ohne Erkältung zu überstehen!

 

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Abschiedshappening vor der Volksbühne

 

Der Designer Rainer Haußmann, der das Räuberrad vor der Volksbühne 1994 aufstellte (und das zum Logo der Volksbühne geworden ist), will, dass es mit Castorfs Weggang ebenfalls verschwindet. Castorf und viele Mitarbeiter der Volksbühne sehen das genau so. Das  Rad würde für etwas stehen, was es nach Frank Castorfs Weggang nicht mehr geben wird! Ursprünglich war die Skulptur nur als temporäre Installation gedacht, dominiert und ziert aber den Platz nun schon seit 23 Jahren. Jetzt muss aber erst einmal geklärt werden, wem es eigentlich gehört und wo es hin soll! Der Abbau wird sicher ein weiteres Problem für den Castorf Nachfolger Christ Dercon werden, dessen Start – wie es scheint –  jetzt schon unter einem schlechten Stern steht.

Christa Blenk

 

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