Petruschka / L’Enfant et les Sortilèges :1927
Als die Bilder laufen lernten:
Doppelabend über Freiheit und Trotz, über Erwachsenwerden und Moral, über Glück und Verlust
2012 inszenierte das Künstlerkollektiv 1927 für die Komische Oper eine sehr erfolgreiche Zauberflöte, die es mit viel Applaus um die ganze Welt schaffte. 2017 versuchen sie nun, an diesen Erfolg anzuknüpfen und haben sich zwei Einakter dafür ausgesucht, die die Komische Oper seit Ende Januar 2017 zeigt.
Einmal das Ballet Petruschka, ursprünglich entworfen als Konzert für Orchester und Klavier, das Igor Strawinsky (1882-1971) 1911 in Paris mit dem Ballet Russe zur Uraufführung brachte und nach der Pause Ravels Märchenfantasie Das Kind und der Zauberspuk.
Petruschka hat Strawinsky nach der Geburt seines Sohnes komponiert; es steckt genau zwischen dem Feuervogel (1910) und dem Sacre-Skandal von 1913.
1927 hat ihr Augenmerk auf das Klavier gelegt und daraus eine Art Stummfilm mit Musikbegleitung, Text zum Lesen und Charly Chaplin Hut gemacht. Eine digitale Revolution in der Zeit der russischen Konstruktivisten und im Futurismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Jahrmarktstimmung, Zuckerwatte, Geisterbahn, Hau-den-Lukas und Karussell natürlich. Der traurige Clown, die Gliederpuppe Petruschka (Tiago Alexandre Fonseca), ist auf der Flucht vor seinem brutalen Puppenspieler und beginnt eine turbulente Reise über den schrillen Jahrmarkt, was ihn in alle möglichen Abenteuer und Probleme stürzt. Er versucht – vergeblich – sein Glück mit der Akrobatin Ptitschka (Pauliina Räsänen) immer wieder behindert durch einen anderen Leidensgenossen, den Muskelmann Patap (Slava Volkov) und kreist schließlich frei und tod als fliegender Sputnit durch den Orbit. Nur die drei Puppen, Petruschka, Patap und Ptitschka sind Menschen mit Gefühlen und Ängsten. Die Jahrmarktbesucher sind animierte und schrill-bunte, unsensible und vergnügungssüchtige Puppen. Ausgezeichnete Darbietung der drei Akrobaten. Strawinskys traditionell-volkstümlich Musik passt wunderbar in dieses ohrenbetäubende Kirmes Geschrei und dieser Teil ist sehr gelungen. Wunderbare Schattenspiele sorgen für eine berauschende und mitreißende Ästhetik.
Aber nach der Pause Ravels Kurzoper L’Enfant et les sortilèges (Das Kind und der Zauberspuk).
Und hier passt plötzlich nichts mehr. Ist es der zweite Akt von Petruschka? Ein Déjà-vu-Erlebnis nach dem anderen und Langeweile stellt sich ein. Auch hier reden und singen die Puppen oder die als solche verkleidete. Die Sterne aus Petruschka hageln auf die Bühne und es animiert sich so vor sich hin. Die Musik kommt dadurch sehr ins Hintertreffen und ist irgendwann gar nicht mehr richtig vorhanden. Hier springt der Zauber der Animation nicht auf uns über. „Ich bin böse und frei!“ sagt das dickliche Kind (Nadja Mchantaf) und wird von der Mutter (Ezgi Kutlu) in sein Zimmer verbannt, weil es die Hausaufgaben wieder nicht gemacht hat. Es zerstört aus Wut sein Umfeld, quält Tiere und Bäume. Möbel, Uhr, Tasse, Teekanne, Tee, Feuer, Fee aus dem Märchenbuch, Kaminfeuer, Mathematiklehrer, Baum, Libellen und Katzen klagen das Kind an und stürzen es von einem Alptraum in den anderen. Bis es sich besinnt und einem Eichhörnchen die Pfote verbindet. Dann wird alles gut und der Alptraum ist vorbei. Ravels Stück endet mit Maman!
Maurice Ravels (1875-1937) Märchenmusik ist eine subtile Fantaisie lyrique unterschiedlicher musikalischer Stilrichtungen und gehört zu den schönsten Kompositionen von ihm, allein schon deshalb kann sie die viele Video-Animation nicht gut verkraften. Sie ist eine Abfolge von unterschiedlichen Szenen. Menschen, Tiere und Gegenstände treten auf, singen, agieren, genial eine zauberhafte Ragtime-Szene zwischen Teekanne und chinesischer Tasse, die gestern irgendwie unterging. Schade!
Ravels Oper kam 1925 in Monte Carlo zur Uraufführung. Das Libretto schrieb die Dichterin Colette, allerdings schon 1915. Erst nach Verdun und dem Tod seiner Mutter näherte sich Ravel wieder diesem Stoff an.
Der Dirigent Markus Poschner mit dem Orchester der Komischen Oper bekam viel Applaus, die Sänger konnten nicht wirklich wahrgenommen werden.
Die Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme haben des Künstlerkollektiv 1927 (Suzanne Andrade, Esem Appleton, Pauzl Barritt, Pia Leong, Katrin Kath) entwickelt. Die Ideen sind interessant und die Künstler kennen natürlich die Filme und Arbeiten von William Kentridge oder Monthy Python, aber auch der expressionistische Film wird zitiert.
Christa Blenk