Der eingebildete Kranke von Molière in der Schaubühne

Am französischen Hof von Ludwig XIV ging es nicht unbedingt hygienisch und blitzsauber zu; das ist bekannt. Es ist auch bekannt, dass er mit seinen Zähnen Probleme hatte und deshalb nicht kauen oder verdauen konnte; Waschen war auch eher ein ungebräuchlicher Begriff – wozu auch - es gab ja schließlich das (französische) Parfum? Dieses wurde zwar schon vor über 7000 Jahren erfunden, aber natürlich auch, um schlechte Gerüche zu überspielen. Andere hielten sich Minze unter der Nase, aber am französischen Hof jedenfalls wurde Parfum literweise verbraucht!
Michael Thalheimer hat sich wohl an den Konditionen am französischen Hof zu Zeiten von Molière, Lully und dem perückenbestückten und rüschchenverzierten König Ludwig XIV bei seiner Inszenierung des Eingebildeten Kranken orientiert. Argan trägt eine Leggins, wichtiges Kleidungsstück der Noblen früher, unter seinem rosaroten Rock und seine Frau ist in ein Kleid von Madame de Maintenant gewandet, sie allerdings oben ohne.
Das Bühnenbild besteht aus einem weiß gefliesten, konstruktivistisch-sterilem Quadrat und sieht aus wie eine unbefleckte Operationsraum-Zelle – jedenfalls in den Anfangs-Sekunden. Argan wird seinem Rollstuhl sitzend hereingependelt und jammert. Die Körperflüssigkeiten, die der Kranke dann ausscheidet oder ausspuckt, Einläufe und Blut aus der Konserve versauen komplett den ehemals so picobello sauberen Ort. Aber so kann wenigstens Argans Testament im eigenen Blut auf der Wand – ermutigt durch das hinterlistige Betreiben der schlangenfalschen Ehefrau – verewigt werden. Stotternd, trampelnd und von der Seite treten nach und nach die gruseligen Protagonisten auf. Ein Slapstick, der aber nicht zum Lachen bringt, so wie die ganze Komödie hier nicht allzu viele Lacher hergibt. Manchmal ansatzweise, aber eine durch Lachen befreite Wohlfühlstimmung soll ja auch nicht auftreten, es soll eher das Leid der Reichen im 17. Jahrhundert gezeigt werden.
Begleitet werden diese 100 Minuten von mal laut und mal leiser nervender und monotoner Hintergrund-Computermusik von Bert Wrede die wohl versuchen soll, ein wenig Ordnung in das schmutzige Chaos zu bringen, manchmal hindert sie aber das Publikum daran, alles zu verstehen. Molière hätte dieses unkoordinierte und laute Treiben im Quadrat wahrscheinlich sogar recht witzig gefunden.
Mit Andreas Gryphius’ Hölle: Mord! Zeter! Jammer! Angst! Kreutz! Marter! Würme! Plagen! Pech! Folter! Henker! Flamm! Stanck! Geister! Kälte! Zagen geht es los und hört es auch auf! Traurig und deprimiert verlässt er – gehend und nicht im Rollstuhl – sein gefliestes Höllen-Gefängnis von Enttäuschung, Schmerz und eingebildeter Krankheit.
Peter Moltzen ist ein intensiver, spuckender, hustender und keuchender Argan, der sich in seinem Schmutz und in seinen Krankheiten mit viel grimmiger Freude auf seinem Rollstuhlthron und in seinen dreckigen Windeln suhlt. Was ihm genau fehlt weiß er nicht und will er auch nicht wissen. Er sieht immer schlecht aus, hat aber ansonsten durchaus Appetit auf Gebackenes und Gebratenes. Regine Zimmermann ist die freche Hausdienerin Toinette und spielt ihm sehr überzeugend auch einen zufällig vorbeikommenden Rotkreuz-Arzt vor, um ihm endlich die Augen zu öffnen. Jule Böwe ist die berechnende Ehefrau Béline, die Töchter sind Iris Becher und Alina Stiegler, die eine im Reifrock mit Cowboystiefeln, die andere auf Rollschuhen. Felix Römer spielt einen ausgesprochen dämlichen Cléante aber noch doofer ist der Arztsohn Thomas (Renato Schuch). Ulrich Hoppe ist der abgefeimt-schäbige und einschmeichelnde-heuchlerische Arzt Diafoirus. Argans toter und einarmiger Bruder (Kay Bartholomäus Schulze) verblutet praktisch vor den Augen des Publikums, obwohl er als Toter eigentlich eh schon blutleer sein sollte. Allesamt sehen sie zum Erschrecken aus und wenn alle Gruselbrüder einmal auf der Bühne sind, können durchaus Alpträume hervorgerufen werden.
Molière hat sich ja am Ende seines Lebens fast nur noch mit leichtem Theater befasst und dazu gehörten und vor allem Ballettkomödien zu Lullys Musik. Deshalb geht dem Theaterstück normalerweise eine lange Tanzszene voraus. Uraufgeführt wurde dieses letzte Werk von Molière 1673 in Paris mit ihm höchstpersönlich in der Hauptrolle; er starb bei der vierten Vorstellung auf der Bühne.
Olaf Altmann hat das Bühnenbild entwickelt, Michaela Barth die Kostüme entworfen und Michael Thalheimer die Regie. Der Eingebildete Kranke ist schon sein zweiter Molièrean der Schauühne nach Tartuffe 2013. Dieser Kranke war auf 100 Minuten gekürzt in der Übersetzung von Hans Weigel – mehr hat man dann auch nicht gebraucht!
Aber trotzdem durchaus sehenswert!
Christa Blenk