Unterwerfung

François ist Mitte 40, Literaturprofessor und Spezialist auf dem Gebiet der dekadenten Literatur, vor allem was den Schriftsteller Huysmans angeht. Er ist der Erzähler der Geschichte und so wie es aussieht – hält er sich im Krankenhaus auf (ob aus psychischen oder physischen Gründen oder beides – bleibt dem Zuschauer überlassen). Die weiteren Hauptdarsteller sind Ärzte, Pfleger oder Krankenschwestern, die sich aber kurzerhand – wenn François gerade mal aus seiner Depression ausbricht und in Erzählzwang gerät – in Miriam, seine Kollegin, einen Kollege, in Martine Le Pen oder in Mohammed Ben Abbes verwandeln. Frankreich, Europa und er sind krank.
Alles was passiert – und das ist außer Reden nicht viel – passiert um das bewegliche Bett herum. Die Papiertreppe inmitten der Bühne zeigt gleich, dass es ein Entkommen nicht geben wird, der Welt auf wackeligen kranken Beinen steht und der Himmel darüber – ebenfalls aus durchsichtigem Papier – bekommt mit dem Herabsenken der Kamera schon die ersten Risse.
Wir sind in Frankreich, in Paris, genauer gesagt, an der Sorbonne und man schreibt das Jahr 2022 – die Zeit der französischen Wahlen.
François kommentiert die politischen Machtverhältnisse in Frankreich und das Übereinkommen der Bruderschaft der Muslime mit den anderen traditionellen Parteien, um dem Front National mit Marine Le Pen keine Chance auf den Präsidentenstuhl zu geben. Er versteht und spürt in seinem gleichgültigen Existenzialismus doch die Anspannung und die Unsicherheit obwohl er, um mit seinen Worten zu sprechen, so politisiert wie ein Handtuch ist. Sein Hauptinteresse gilt dem Schriftsteller Huysmans. Und dann gibt es da noch die Frauen, seine Studentinnen, zu denen er regelmäßig nicht emotionale Beziehungen unterhält – eine Ausnahme ist Miriam, aber die geht mit ihren Eltern nach Tel Aviv und lernt Jemanden kennen – oder Escort-Beziehungen, die ihn zwischen den Studentinnen über den Sommer bringen und ihn für kurze Zeit aus dem dunklen Loch holen. Er tut uns leid, hat Schmerzen und weiß nicht wohin mit seinen Sorgen.
Er bekommt eine Kündigung, weil die Universität keinen Laizismus mehr dulden kann, ist dann doch neidisch auf das hohe Gehalt der Kollegen, die geblieben sind, schmeißt sich in einem Smoking und wartet, bis ihm die Decke buchstäblich auf den Kopf fällt und er, wahrscheinlich irgendwie befreit und froh, über die Ruinen seiner Papierwelt tänzelt und Bühne wie Welt verlassen darf.
Steven Scharf spielt einen unsicheren, fast bemitleidenswerten Lehrer, der verloren nach einem Sinn sucht und das tut er sehr gut. Die afroamerikanische Schauspielerin Lorna Ishema übernimmt alle Frauenrollen (Krankenschwester/Marie-Françoise Tanneur, Kollegin an der Uni/Reporterin/Marine Le Pen, Front National/Myriam, Studentin und Ex-Freundin). Sie glänzt überall, vor allem aber als Madonna und Marine Le Pen. Camill Jammal ist der Chefarzt und Mohammed Ben Abbes, der neue gewählte Präsident; Marcel Kohler ist Reporter, ein Uni-Kollege und ein Zivildienstleistender und Wolfgang Pregler spielt den undercover-Spion und Mann von François’ Kollegin sowie den angepassten und konvertierten Rektor der Sorbonne, den die neue Regierung ganz nach oben katapultiert.
Stephan Kimmig hat das ziemlich überbewertete Mode-Theaterstück nach dem Roman von Michel Houllebecq sehr minimal inszeniert – mehr braucht es auch nicht. Außer einem Bett auf Rollen hat Katja Hass nur zerbrechliche und verletzliche Requisiten vorgesehen.
Die Premiere fand schon im April 2016 im Deutschen Theater mit großem Erfolg statt.

Christa Blenk