14 janvier 2017 0 Commentaire

Die Kriminellen der Frau A. – Auf dem Weg zu Ovartaci

Berliner Atonale III – Werkstatt im Schillertheater

 

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Die Kriminellen der Frau A. – Auf dem Weg zu Ovartaci

 Er ist zweifelsohne unser interessantester Patient! Darüber sind sich die Ärzte in der Psychiatrie einig. Mehr noch, vielleicht wären sie sogar gerne ihr eigener Patient!

Und darum geht es in diesem Werk: um psychische Krankheiten, deren Ursachen und Auswirkungen auf die Gesellschaft und auf das Umfeld des Kranken und seiner Mitmenschen und um Kunst, die daraus entstehen kann.

Die Oper Ovartaci crazy, queer & loveable ist ein work in progress und erzählt Abschnitte aus Ovartacis Leben.

Tanja Langer hat die Texte zur Ovartaci-Oper geschrieben und ein Pool von 13 Komponisten hat die bis jetzt existierenden Szenen vertont. Erschütternd und mitreißend Text und Musik – manchmal die Grenze austastend von dem was man moralisch vertreten kann, darf oder will –  grandios, bilderreich und fesselnd die Darbietung der Solisten. Begeisternd-dionysisch und enthusiastisch vorgetragene Balladen die an Schönberg denken lassen und ganz neue Töne. Man glaubt gar nicht, welch bemerkenswerte und spannende Laute oder Geräusche eine Fahrradpumpe oder zu Boden fallende Murmeln hervorbringen können.

Ulrike Brand
Ulrike Brand während « Heiss ist das Blut, kalt ist der Stahl »
Foto: © Helena Lingor

Die Ouvertüren-Arie für Bariton, Percussion, Klavier und Cello hat Rainer Rubbert komponiert. Sie beschreibt Ovartacis kohlenschippende und hungernde Reise auf einem Frachtdampfer von Argentinien nach Dänemark. Das, was Rubbert verspricht, halten die nachfolgenden Komponistenkollegen unbedingt ein. Das Publikum wird emotional eingebunden in die verschiedenen Abschnitte von Ovartacis Leben. Ein Elektronik-Solo von Eros Holz beschreibt den Gang des Psychiaters durch den Klinikflur. Die bewundernde Verblüffung über so ein Talent der Ärzteschaft hat Gabriel Iranyi für Mezzosopran und Violoncello vertont. Weiter mit einer geheimnisvollen Rauchorgie mit einem geheimnisvollen Chinesen und Argentiniern, die Martin Daske von einem Bariton, zwei Sängerinnen, Klavier, Violoncello und Elektronik erzählen lässt. Später sitzen wir auf dem Gepäckträger beim Landausflug  mit Klingel, Blumen und Schmetterlingen (und einem Augenzwinkern zu Rossinis Miau-Arie). Mayako Kubo hat diesen Teil für Bariton, zwei schauspielernde Sängerinnen und Percussion. komponiert, der einer der besten in der Oper ist. Bei Wanting to fly für Sopran und Violoncello liegt Ovartaci auf dem Boden; Charlotte Seithers Musik ist minimal und delikat, ätherisch, umso härter und überraschender, schaudernd gleich danach Ovartacis Selbstkastration, komponiert von Helmut Zapf für Bariton, Violoncello und Klavier. Unschlagbar hier Thorbjörn Björnsson; seine Stimme geht prompt eine Oktave höher. Über Liebe referiert Susanne Stelzenbachs Ballade und Stefan Lienenkämpers Musik beendet den Trip mit dem Schlaflied Sleep well, my love – Ovartaci und seine Pferdefrauen für Bariton, zwei Sängerinnen, Steine und Elektronik.

Spannend und abwechslungsreich die unterschiedliche Annäherung an Ovartacis Lebensgeschichte, die einmal aus seiner eigenen Perspektive und dann wieder von den Ärzten oder Psychologen erzählt wird.

Der dänische Maler und Dekorateur Louis Marcussen (1894-1985) verbrachte 56 Jahre seines Lebens in psychiatrischen Einrichtungen. Den Namen Ovartaci hat er sich selber gegeben. Er kommt vom jütländischen Wort Overtossi, was soviel wie Oberidiot bedeutet (in dem Kapitel Puma, Blume, Schmetterling / 64 times I was born wird darüber sehr humorvoll berichtet). Die Ärzte erkannten schnell sein Talent und ließen ihn künstlerisch und kreativ sein. Es entstanden viele Arbeiten aus Pappmaché, Skulpturen oder phantasievolle Flugmaschinen. Ovartaci verarbeitete sogar leere Zahnpastatuben und war ausgesprochen kreativ, wenn es um das Einbringen seltsamer Materialien, Mythen oder Personen in sein Werk oder sein Leben ging. Mit 63 Jahren wurde bei ihm durch einen amerikanischen Chirurgen eine Geschlechtsumwandlung vollzogen. Über die von ihm selbst durchgeführte Entmannung erzählt die Ballade  Heiss ist das Blut, kalt ist der Stahl. Künstler wie Jean Dubuffet oder Asger Jorn, deren Arbeiten sich manchmal der Art Brut nähern, haben ihn als Talent erkannt. Heute sind seine Arbeiten vor allem im Museum in Århus/Dänemark zu sehen. Die Oper, die fast sein ganzes Leben behandelt, bringt uns diesen doch recht unbekannten Künstler nahe. Sie soll in der diesjährigen dänischen Kulturhauptstadt Aarhus zur Aufführung kommen.

 

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 Die Schattenmänner von Ina Abuschenko-Matwejewa

Vor den Ovartaci-Szenen wurde der Liederzyklus « Die Kriminellen der Frau A. «  aufgeführt. Hier werden Geschichten von drei anderen psychisch Kranken, die die Kunsttherapeutin Ina Abuschenko-Matwejewa behandelte, erzählt. Der Bilderzyklus ihrer kriminellen Schattenmänner hängt dem Publikum gegenüber an der Wand hinter den Instrumenten. Tanja Langer legt den kriminell gewordenen Patienten verteidigende oder erklärende Worte in den Mund. Thomas Hennig komponierte die Arie des Steinewerfers Wer fragte Isaak. Gabriel Iranyi vertonte in Feuerkopf  einen Dialog zwischen Frau A., dem Brandstifter und der Cellistin Ulrike Brand. Die Ballade vom Tigermann, dem Mörder, hat Samuel Tramin für Mezzosopran und Klavier komponiert, hier spricht Frau A.

Thomas Hennig auch am Pult, wenn Musiker und Sänger gemeinsam zum Einsatz kommen. Die meisten Arien oder Opernfragmente sind im letzten Jahr entstanden.

Hin- und hergerissen sind wir zwischen der Psychologie und den kriminellen Akten. Manche Arien gehen in Form von permanent sich wiederholenden Wörtern oder Buchstaben auf die Sprache eines psychisch Kranken ein, andere beschreiben den Enthusiasmus, das Geschehen, die Freude und die Stille.

Das Lied für Barbara Suckfüll Tunk die Feder in die Tinte ist von der Komponistin Irini Amargianaki.

Ausgezeichnet und darstellerisch wie stimmlich fantastisch die Solisten Ramina Abdulla-zadè (Sopran), Claudia Herr (Mezzo), Thorbjörn Björnsson und Manuel Nickert (Bariton), Ulrike Brand (Violoncelllo), Alexandros Giavanos (Percussion), Martin Schneuing (Klavier) Martin Daske (Elektronik). Ihr Enthusiasmus und das Vertrauen in dieses anspruchsvolle Projekt haben sich auf das Publikum übertragen. Außer den herunterfallenden Murmeln war kein Mucks zu hören.

Die Texte stammen alle von der Schriftstellerin Tanja Langer, sie war auch ein wunderbarer Cicerone durch den Abend. Ihre Texte sind einfach, anspruchsvoll, verständlich und inhaltsreich. Sie überlässt viel der Interpretation der Sänger und Musiker – und die enttäuschen nicht!

Auf jeden Fall schon mal ein Grund, die diesjährige Kulturhauptstadt Århus zu besuchen. Bis dahin wird die Truppe sicher ein weiteres Stück Auf dem Weg zu Ovartaci zurückgelegt haben.

 

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Interpreten und Komponisten nach der Aufführung

 

Christa Blenk

 

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