Deutschstunde – Aufführung im Berliner Ensemble
Die Freuden der Pflicht oder Die Grenzen der Freundschaft
Siegfried Lenz ist 1926 als Sohn eines Zollbeamten in Ostpreußen geboren. Mit 42 Jahren hat er seinen wichtigsten und einen der bedeutendsten deutschen Nachkriegsromane, Deutschstunde, veröffentlicht. Bei Deutschstunde geht es um Pflicht, Schuld, Macht, Freundschaft und Verlust und um das Nichtentkommen der Geschichte.
Der Schriftsteller Christoph Hein hat das Buch 2015 als Theaterstück für die das Berliner Ensemble aufbereitet; Regie Philip Tiedemann. Die Premiere war am 6. Juni 2015.
Foto: Ines Kluwe-Thanel
Gestern Abend wurde das Stück etwas modifiziert aber mit denselben Schauspielern wie 2015 im Berliner Ensemble aufgeführt.
Wir befinden uns in den 50er Jahren und Siggi Jepsen (Peter Miklusz) sitzt im weiß-grauen Erziehungsheimambiente. Er gilt als Bilderdieb und muss wieder gerade gebogen werden. Der Lehrer schreibt das Aufsatzthema „Die Freuden der Pflicht“ an die Tafel. Siggi sitzt, als einziger, mit dem Gesicht zum Publikum, von den Lehrern, Pflegern oder Erziehern sieht mit nur weiße Kittelrücken. Siggi erinnert sich an die Zeit zwischen 1943 und 1945 und die Verwandlung seines Vaters von einem Menschen zu einem hassenden Pflichterfüller. Alles begann mit der Überbringung des aus Berlin offiziell diktierten Malverbots an den am Ort lebenden Maler Max Ludwig Nansen (Martin Seifert).
Siggi ist permanent hin- und hergerissen, zwischen seinem Vater, den er nicht verstehen kann, der dumm und gehorsam ist und für den alles was war nicht mehr zählt und Onkel Max (Nansen), den er bewundert und verehrt, dessen Bilder er versteckt. Er wirkt klein und unsicher, zögert aber keine Sekunde, sich für das « Gute » zu entscheiden.
Die Geräusche von Meer, Wind, Regen, Schüssen werden von den Schauspielern ad hoc erzeugt und versetzen den Zuschauer an die raue Nordsee, wo der Wind stärker bläst als anderswo und wo die Seemöwen kreischen, wo der Dorfpolizist mit seinem Fahrrad gegen den Wind ankämpft aber in Ausführung seiner ihm von höchster Stelle auferlegten Aufgaben nicht aufgibt. Er erinnert sich an den Pflichtenberg seines Vaters, den unerbittlichen Dorfpolizisten von Rugbül Jens Ole Jepsen (Joachim Mimtz). Er erinnert sich, wie sein Vater zuerst fast peinlich berührt das Schreiben übergibt mit dem Hinweis, ja nur seine Pflicht zu tun und die Freundschaft zu dem Maler, dessen Bilder eigentlich niemand im Dorf mag, in die Brüche geht. Er schreibt, wie sein Vater immer strenger und pflichtgetreuer wird, ja wie er sogar seinen älteren Sohn opfert. Er erinnert sich an die anderen Dorfeinwohner, die Rolling home singen und Jazzrhythmen klopfen, aber die auch melden, wenn jemand Radio London hört.
Im Hintergrund wird eine Torfhütte gebaut, in der Jepsens ältester Sohn auf der Flucht sich beim Maler Nansen versteckt und dann bei einem Luftangriff umkommt. Später werden diese Torfziegel die Straßensperre, die Niemanden mehr aufhalten wird. Er erinnert sich auch wie sein Vater nach Kriegsende immer noch Nansens ungemalte Bilder, weiße Blätter, wie den Unsichtbaren Sonnenuntergang mit Brandung, den er bei der Beschlagnahmung als ein wenig zu dekorativ bezeichnet hatte.
Wind, Krieg, Seeluft und Pflicht haben den Verstand begraben. Männer machen den Krieg, Männer machen die Gesetze und Männer aus Berlin befehlen und erheben das Malverbot. Hat Tiedemann deshalb alle Rollen mit Männern besetzt?
Berlin hatte gerade die erste Retrospektive von Emil Nolde im Brücke Museum in Dahlem gezeigt. Es spricht ja vieles dafür, dass Lenz ihn als Vorlage für den Maler Nansen genommen hat.
Eine im Ganzen gute Aufführung, die animiert, die Deutschstunde nachmals zu lesen.
Christa Blenk