Rihms Tutuguri eröffnet das Berliner Musikfest
Alles muss haargenau in eine tobende Ordnung gebracht werden (Antonin Artaud 1947)
Französischer Surrealist trifft auf mexikanische Totentänze und Rihm macht die Musik dazu. Das klingt gut und verheißungsvoll: aber es ist noch viel viel mehr! Es ist ein Erdbeben, ein musikalischer Horror-Tsunami, ein götterdämmernder Phönix-Weltuntergang!
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks eröffnete in der Philharmonie am 3.9. mit einer konzertanten Aufführung von Wolfgang Rihms Poème dansé nach dem Gedicht „Tutuguri“ von Antonin Artaud das Musikfest Berlin. Am Pult Daniel Harding. Rihm hat Tutuguri für großes Orchester, Schlagzeuger, Chor vom Tonband und Sprecher von 1980-1982 als Auftragswerk der Deutschen Oper Berlin komponiert, da war er gerade mal 30 Jahre alt.
Der Sprecher Graham Forbes Valentine bringt sich mit einem schreienden Hustenanfall ins Spiel, kurz nachdem die Ansage darum bat, doch das Handy auszuschalten und wenn möglich auf Husten zu verzichten. Er trägt Artauds Poème Tutuguri: Der Ritus der schwarzen Sonne in französischer Sprache vor. Forbes kommt aus der Marthaler-Schule und ist kein Franzose, das hört man, aber beunruhigender und gruseliger als er hätte es wohl nicht sein können. Er hat sich in die Person der schizophrenen Antonin Artaud versetzt, und das ziemlich heftig. Seine Todesschreie und -Gesten im IV Bild gehen durch Mark und Bein.
Von der Piccoloflöte zum Holzhammer
Obsessiv, ekstatisch, insistent und wuchtig-grandios mit permanente Rhythmuswechseln die Musik. Die ersten drei Bilder „Anrufung …. Das schwarze Loch“; „schwarze und rote Tänze … das Pferd …“;…“der Peyotl-Tanz … die letzte Sonne … der schreiende Mann“….; dauern ca. 90 Minuten; der Perkussionsmarathon aus dem Bild IV „Kreuze .. das Hufeisen … die sechs Männer … der Siebte …“ ca. 30 Minuten. Anders geht es nicht, da für Bild IV nur noch ca 12 Schlagzeuger gefordert sind, die sich schon im Verlauf des Stückes immer mehr mit Metallplatten, Pauken, Trommeln, Becken, Woodblocks etc in den Mittelpunkt hauen.
Harding rückt nach der Pause näher an sie heran. Es beginnt mit einem sehr schwachen Herzschlag, der in spanische Armeetrommeln übergeht und das gewaltsame Eindringen mit Kriegsgeschrei der iberischen Eroberer in die indianisch-mexikanische grausam-blutrünstige aber auf ihre Art heile Welt vorträgt, die mit Pauken und Trompeten zum Untergang verurteilt war. Vier große TamTams im Zuschauerraum verstärken den Donner, der die Zuhörer knapp an das akustisch Erträgliche bringt und die Instrumentalisten sowie den Dirigenten sicher an ihre physischen. Bild IV ist eine Art Perkussions-Marathon von einem knappen Dutzend Schlagzeugern im Raum verteilt aufgeführt, der ekstasenhaft immer schneller und lauter wird.
Vor drei Jahren wurde Wolfgang Rihms archaisches Werk Tutuguri in München aufgeführt und damals beschloss die Truppe, damit auf Tournee zu gehen. Es ist geprägt von wilder Kraft und ungezähmter psychedelischer Farben und Töne die neue, unbekannte Gefühle evozieren. Es ist eine zerrissene Klang-Gebirgslandschaft, gespickt mit unergründlichen Geheimnissen und tiefen Schluchten, Wege die ins Nichts führen oder in den Himmel, aber immer zuerst durch die Hölle. Begleitet ab dem zweiten Bild von einem mystischen aber kontrollierten Chor, eine Hommage an Orff. Rihm stützt sich hier auf einen Zauberspruch, der aus dem Hörspiel von Artaud stammt. Ansonsten schreit diese rituelle, gewaltige Musik geradezu nach Tänzern, ähnlich Strawinskys Frühlingsopfer.
Mexiko und der Kolonialismus bewegten schon in den 30er Jahren den französischen Surrealisten und Theateravantgardisten Artaud; 1936 reiste er schließlich nach Mexiko und lebte eine Zeit lang bei den Tarahumara Indianern. Später suchte er in Irland die keltischen Druiden auf. Wieder zurück in Frankreich wurde er 1937 mit einer Schizophrenie-Diagnose in eine geschlossene Anstalt eingewiesen und bekam das volle Programm von Elektroschocks bis Quecksilber bis ihn Freunde Jahre später herausholen konnten. Um eine Schmerzen zu besiegen, nahm er jahrelang Drogen, auch harte. 1948 fand man ihn sitzend mit einem Schuh in der Hand tot im Bett.
Das begeisterte und enthusiastische Publikum holte den persönlich anwesenden Rihm ebenso oft auf die Bühne wie Harding und die außergewöhnlichen Bayern. Großartiger Festivalbeginn!
Rihm und die SchlagzeugerChrista Blenk