Ausstellung: Das Kapital – Schuld, Territorium, Utopie

Die Fußfessel und ein altbabylonischer Kaufvertrag einer Sklavin, eine Karettschildkröte, Andy Warhol, Pasolini, Bob Dylan, Martin Luther oder Goldman Sax? Was diese Konzepte oder Künstler verbindet, kann man zur Zeit in einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin erleben.
„Lasset sie fahren! Sie sind blinde Blindenleiter. Wenn aber ein Blinder den anderen leitet, so fallen sie beide in die Grube“. (biblisches Gleichnis)
Das Kapital Raum 1970-1977 ist ein Schlüsselwerk von Josef Beuys. Er hat es 1980 für die Biennale von Venedig geschaffen. Der Sammler Erich Marx hat es 2014 erworben.
Die Ausstellung im Hamburger Bahnhof Das Kapital – Schuld, Territorium, Utopie hat diese Beuys-Installation als Ausgangs- und Mittelpunkt für dieses kuriose, Jahrhunderte übergreifende Sammelsurium erkoren und stellt den Besucher manchmal vor große Rätsel.
Kunst = Kapital
Joseph Beuys hat in den 70er Jahren den Begriff Kapital neu definiert. Er hatte den Anspruch, den Begriff Kapital wegzubringen von Finanztransaktionen und von allem was mit Geld zusammen hängt.

Die Finanzkrise von 2007 haben ihrerseits die Kuratoren Eugen Blume und Catherine Nichols als Anhaltspunkt definiert, um dieses Ansinnen von Joseph Beuys zu erweitern und zu untersuchen. Kunst, Poesie und Literatur in unterschiedlichen Darstellungsweisen aus allen Epochen sollten helfen. Blume und Nichols haben also ganz unterschiedliche Kunstannäherungen aufeinander prallen lassen und sie denen zum Teil in den Staatlichen Museen zu Berlin vorhandenen Kunstwerken aus unterschiedlichen Epochen und Kategorien unter den Schlagwörtern Schuld, Territorium und Utopie gegenüber zu stellen. Was bedeutet Kapital heute im Vergleich zu früher, oder was könnte es alles bedeuten?
Eine Heidenarbeit und ein nicht immer nachzuvollziehendes weites Feld. Wo ist der Grenze, was geht und was geht nicht? Wieso gerade diese Zeichnung oder dieses Video? Die Erforschungs- und Entdeckungsreise mit vielen Fallen aber auch Hilfestellungen beginnt.
Schon bevor man die lange Halle betritt muss man an Peter Buggenhouts Installation „The Blind Leading the Blind“ (2015) vorbei. 250 x 240 x 335 cm ist sie groß und besteht aus Holz, Eisen, Pappe, Schaumstoff, Aluminium, Kunststoff und Hausstaub. Alltagsmüll und Bauschutt für die Ewigkeit. Basis dieser Arbeit ist das Gemälde von Pieter Bruegel d.Ä. aus 1568. Wäre Kapital hier das Augenlicht oder die gegenseitige Hilfestellung?
Direkt danach kommt man zur Karettschildkröte, die aus dem Naturkundemuseum ausgeliehen wurde, ein Trockenpräparat in den Maßen 28x69x94 cm. So hantelt wir uns dann von einem Gegenstand oder Video zum anderen. Vorbei an Andy Warhol Lithografien, mittelalterlichen Holzskulpturen, immer wieder die niederländische Malerei, auf der man sich viel und sichtbar mit Geld und Wohlstand befasst, ganz im Gegensatz zur katholischen Malerei, bei der über Geld nicht geredet wird. Ein paar Meter weiter ein Ausschnitt aus Pasolinis „Il Vangelo secondo Matteo“ und Charly Chaplin „Dogs Life“ von 1918. Marcel Broodthaers Schreibheft und Briefumschlag mit 100-DM-Banknote und daneben ein Video „Working at Goldman Sachs“. Der geniale und sehr kritische Goya darf natürlich nicht fehlen. Seine Radierung „Asta su abuelo“ (1797) verurteilt Aberglauben und Gewalt und kritisiert die Doppelzüngigkeit der katholischen Kirche, ihrer Pädophilie- und Prostitutionsansätze. Gleich nach der Veröffentlichung bekam er aber doch kalte Füße und vor allem Angst vor der Inquisition und zog diesen Zyklus wieder aus dem Verkehr. Die Entstehung einer Shopping Mall von Harun Farocki, das Video mit Hannah Arendt im Gespräch mit Günter Gaus und mit einem Ohr hört man schon Carmen Miranda die „The Lady in the Tutti Frutti Hat“ singen. Hier geht es indirekt der Chiquita Banane und der United Fruit Company und ihrer Monopolstellung an den Kragen. Immer das Konzept Kunst = Kapital vor Augen und Ohren, ist das eine leichte Übung. Objekt Nummer 127 ist schließlich Beuys Rauminstallation von Venedig Das Kapital Raum 1970-1977, abgelöst von Anselm Kiefers Großarbeit Lilith am roten Meer. Bob Dylan schließt die Ausstellung mit dem 37. Studienalbum „Fallen Angels“, erschienen im Mai 2016.

Oft fühlt man sich verloren in der Schau und die Aufsichtspersonen haben jede Menge Arbeit die müden Besucher immer wieder von Jason Rhoades „Marble Box“ aufzuscheuchen, die diesen weißen übergroßen Schuhkarten versehentlich als Sitzgelegenheit ansehen.
Interessant ist die Ausstellung allemal und man stellt bewusst viele Verbindungen her und lernt eine Menge dazu. Aber bitte immer schön den Titel im Auge behalten sonst wird es schnell langweilig!
Nach 130 so unterschiedlichen Annäherungen an Kunst oder Kapital oder Schuld und Anklage schwirrt dann doch der Kopf und mit Carmen Miranda Tutti Frutti Hat-Ohrwurm verlassen wir das Museum.
Bis zum 6. November ist die Schau noch zu erleben.
Christa Blenk
Fotos: Christa Blenk