Proserpina von Wolfgang Rihm beim Fast Forward Festival
Granatapfel im Möbellager
„Und was du suchst, liegt immer hinter dir“ (Johann Wolfgang von Goethe, Proserpina).
Verzweifeltes Suchen und hoffnungsloses (nicht)Finden treibt diese Proserpina um. 70 Minuten lang ist sie auf einer nostalgischen Fahndung nach Bildern der Vergangenheitmit einem zeitlosen Blick nach vorne. Sie will ihr früheres Leben, ihre Freiheit, ihre Familie zurückhaben. Sie braucht Energie und Kraft und vor allem einen Ariadne-Faden, um aus Plutos Hölle heraus zu finden.
Valentina Carrasco und Carles Berga haben Goethes Regieanweisung: Eine öde felsige Gegend, Höhle im Grund, auf der einen Seite ein Granatbaum mit Früchten umgesetzt, und die Bühne in ein rosafarbiges, felsenartiges Christo und Jean-Claude Möbellager (so würde man die Polstermöbel abdecken, wenn man lange Zeit auf Reisen geht und die guten Stücke nicht verstaubt wieder finden möchte) verwandelt; inspiriert haben sie sich an den Arbeiten des französischen Künstlers Clay Apenouvon, der auch die Kostüme entworfen hat. Die um die Überzüge geschlungenen Kletterseile sind vielleicht die Pfade, die nach oben oder nach unten führen; noch ist die Welt für Proserpina nicht verloren. Der Schein trügt!
Plötzlich kommt Leben unter diese Schutzhüllen und es schälen sich aus ihnen langsam Proserpinas unbeschwerte, gesichtslose Schaufensterpuppen-Gespielinnen und werden zu lebenden Bildern. Blätter rieseln von der Decke. Wir sind hier noch eindeutig auf der Wiese unterm Ätna, auf der Proserpina Blumen zu pflücken pflegte, bevor der alte Pluto sie entführte. Im Verlauf der nächsten guten Stunde werden die anonymen Freundinnen zu Parzen und Danaiden. Mit dem lüsternen Genuss eines Granatapfels, der ihr Kleid mit blutrotem Fruchtsaft verschmutzt, verschwindet dann der letzte Fetzen Stoff und es bleibt ein gülden-feuriges Schlafgemach, verziert mit schwarzem Höllenpech und Schwefel. Proserpina wird zu einer immer noch kämpfenden und lamentierenden Königin der Unterwelt und des Totenreiches. Ihre Untergebenen wickeln sie in schwarze Frischhaltefolie und fesseln sie ans Bett.„Was hab ich verbrochen, Daß ich genoß?“ Lässt Goethe Proserpina fragen. „Und der Biß des Apfels macht dich unser! Königin, wir ehren dich!“antworten die Parzen. Die Wut kommt gleich nach der verzweifelten Hoffnung, Zorn auf die Eltern Jupiter und Ceres, Grollüber die unüberbrückbare Götterhierarchie, die sie machtlos dastehen lässt. Spätestens hier merkt auch sie, dass es kein Entkommen mehr gibt.
Proserpina di Rihm_Un totale®Yasuko Kageyama-Opera di Roma 2015-16
Proserpinas Monolog ist der einer verzweifelten Frau; die dort, wo sie ist, nicht sein will und sein kann, aber keine Möglichkeit hat, sich zu befreien. Denn im Gegensatz zur griechischen Persephone, die jedes Jahr wenigstens ein paar Monate ans Licht darf und so den Frühling hervorholt, kommt Goethes Proserpina nie an die Oberfläche, sie ist eine Dauergefangene, der man die letzte Würde genommen hat aber trotzdem nie Teil der Unterwelt sein wird. Sie ist und bleibt ein zeitloser, ungemütlicher Fremdkörper. Proserpina könnte genauso eine im Haushalt gefangene Frau wo auch immer auf der Welt sein, meinte Rihm vor der Veranstaltung.
Liebreizend und mild, wütend und rebellisch, erotisch und kindlich-schüchtern die wunderbare, umwerfende Mojca Erdmann. Lyrisch, gefällig, hörbar, stark und beeindruckend die Musik Rihms, Referenzen an Mozart und Brahms und immer wieder an Schönbergs Sprechgesang. Rihm hat Erdmann diese Rolle auf den Leib geschrieben und sie passt wie angegossen! Sie singt, spielt und spricht, wie es besser nicht sein kann. Erdmann hat auch bei der Welturaufführung 2009 in Schwetzingen gesungen; damals hatteNeuenfels inszeniert.
Proserpina für Solosopran, Frauenchor und kleines Orchester (Streicher, Flöten, Klarinetten und Perkussion im Graben, Trompete und Tuba auf der Bühne) ist Rihms achte Oper. Für Goethes Monodrama von 1778 hat er sich entschieden, weil ihn dasDüstere und Geheimnisvolle darinfaszinierte und dannwar da natürlich der Rhythmus des Gedichtes. Es waren nur noch die Noten zu platzieren. Rihm stellte sich seinerzeit die Frage, ob Goethe bei der Dichtungwohl an das Leben seiner Schwester Cornelia dachte, die sehr unglücklich in ihrem Ehegefängnis war.
Mit Wolfgang Rihms „Proserpina“ als Neuproduktion der Oper Rom ging das erste Fast Forward Festivalmit großen Erfolg zu Ende. Am Pult Walter Kobéra mit dem Chor und Orchester der Oper Rom. Unterstützt wurde die Veranstaltung durch das Goethe Institut Rom.
Am 9. Juni wird es nochmals aufgeführt!
nach der Vorstellung mit W.Rihm
Christa Blenk
Schwarz auf Weiß – Festivaleröffnung
Bericht auch für KULTURA EXTRA