Strawinsky – Oedipus Rex
Ödipus – König – hilf uns
Die griechische Tragödie entstand zu Ehren der Feierlichkeiten von Dionysos. 534 v.C. wurde die erste Tragödie des Dichters Thespis aufgeführt. Er stellte zum ersten Mal dem singenden und tanzenden Chor eine schauspielernde Person gegenüber. Aischylos führe den zweiten Schauspieler in die Tragödie ein und mit Sophokles kam schließlich der Dritte hinzu.
Beeinflusst von Jean Cocteaus Antigone (so gesehen die Fortsetzung der Geschichte nach dem Ende von Ödipus), befasste sich der schon neoklassizistische Igor Strawinsky zehn Jahre nach dem großen Sacre du Printemps-Skandal ebenfalls mit der griechischen Tragödie und arbeitete ab 1925 am Oedipus Rex. Arien, Duette und Choreinladen wechseln sich ab. Die Texte sind in Latein und die erklärenden Passagen werden von einem Sprecher vorgetragen (gestern Abend in Rom auf Italienisch).
Strukturiert, klar, lateinisch, archaisch, requiemhaft und abstinenzlerisch kühl-objektiv sollte es werden, eine karge Messe, ein crossover von slawischer Kirchenmusik, Klassik zu Jazz. Allerdings hat Strawinsky das so nicht komplett durchziehen können, wie Iokastes bewusst berauschende Arien beweisen; sie sind, vor allem die Eingangsarie, lyrisch und warm, durchaus an Belcanto erinnernd. Jedenfalls hat der Finne Sakari Oramo dieses gestern in der Sala Santa Cecilia herausgeholt. Großartig hat den konzertanten Oedipus Rex dirigiert, mitgelitten, mitgesungen und mitgelebt, begleitet vom ausgezeichneten (Männer)Chor der Santa Cecilia und vom hiesigen Orchester. Oedipus (Mati Turi) hat anfangs ein wenig geschwächelt, wurde aber immer besser. Iokaste, warnend, bittend, hoffend und verzweifelt, war die italienische Mezzo Sonia Ganassi. Erstklassig Alfred Muff (Bass) in einer Doppelrolle (Kreon und Bote). Teiresias war Marco Spotti und der Pastor war Simone Ponziani. Der einzige, der nicht überzeugt hat, war der Sprecher Massimo De Francovich, er hatte etwas von einem 20.00 Uhr Nachrichtensprecher, zu schnell und zu unbeteiligt, nicht dramatisch genug, aber vielleicht war das ja gewollt.
Die wuchtigen und mächtigen Chorpassagen vor allem dürften Carl Orff zehn Jahre später bei seiner Carmina Burana inspiriert haben. Dafür hat Strawinsky für dieses Messe-Oratorium sicherlich Rossinis Petit Messe Solennelle gehört, was gleich am Anfang bei Oedipus’Arie kurz zu hören ist. Kreons einzige Arie war der Klarinette gewidmet und würde auch im Belcanto bestehen können.
Igor Strawinsky hat den Zweiakter Oedipus Rex gemeinsam mit dem Dichter Jean Cocteau geschrieben. Das Werk geht zurück auf die Tragödie von Sophokles. Die konzertante Uraufführung fand zusammen mit dem 20-jährigen Bühnenjubiläum von Sergei Diaghilev statt. Die Sänger trugen Masken und konnten nur Kopf und Arme bewegen. Ein Erfolg wurde es aber nicht, auch die Aufführungen 1928 in Wien und Berlin rissen das Publikum nicht zu Begeisterungsstürmen hin. Traditionsgemäß war Strawinsky der Musikwelt wieder mal voraus. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg befasste man sich intensiver und weltweit mit diesem Werk. 1952 wurde es in Paris aufgeführt mit Jean Cocteau persönlich als Sprecher und erreichte erst 30 Jahre nach seiner Entstehung die Welttheater. Peter Sellars und Robert Wilson haben u.a. mit diesen Werk inszeniert.
Zur Handlung: Oedipus hat die Stadt von der grausamen Sphinx befreit, wird deshalb von den Thebanern zum König gewählt und darf Iokaste, die Witwe von Lais heiraten. Die Pest herrscht und Oedipus schickt Kreon, seinen Schwager, nach Delphi um das Orakel zu befragen. Als dieser mit der Aussage zurückkommt, dass zuerst der Mord an Oedipus Vorgänger Laios gerächt werden müsse, bevor die Pest verschwinde, wird der Seher Teiresias befragt, der sich aber in Schweigen hüllt. Iokaste macht die schmerzhafte Entdeckung, dass es ihr Sohn (und Mann) war, der die Tat begann und im Verlauf der Erzählung fällt es auch Oedipus wie Schuppen von den Augen, dass er selber der Mörder seines Vaters gewesen sei. Oedipus zieht die Konsequenzen, blendet sich und endet als Bettler in Theben. Die Pest endet.
Foto: Eric RivièreChrista Blenk