Schlag’ nach bei Goethe
Glücklich – deutsch ernst – in Terracina
Die Reihe der Römischen Begegnungen in der Casa di Goethe in Rom wurde gestern Abend unter dem Motto Berlin trifft Rom fortgesetzt. Der italienische Schriftsteller Mario Fortunato und der deutsche Schriftsteller und Übersetzer Jan Koneffke haben dazu jeweils aus ihren Aufsätzen, die ihre persönliche Begegnung mit Goethes Italienreise zum Thema hatte, vorgelesen.
Mario Fortunatos Goethe-Hommage beginnt mit einer Verbeugung vor einem anderen ganz Großen. Mit den Wörtern Viele Jahre später, fängt auch Garcia Marquez seinen grandiosen Roman 100 Jahre Einsamkeit an. Mario Fortunato liest also aus seiner autobiografischen Erzählung Goethe in Terracina vor und versetzt die Zuhörer für kurze Zeit in die Welt der 70er Jahre nach Cirò in Kalabrien, wo er 1958 geboren wurde und aufwuchs und wo er sich in einem Sommer, vielleicht 15-jährig, in den jungen Norweger Karl, der für einen langen Sommer dort im südlichsten Süden aufschlug, verliebte. M. erzählt, wie er seine Sichtweise immer mehr dem Fremden aus Oslo (also vom Mond, wie er augenzwinkernd hinzufügt) aneignet und die italienisch-kalabresische Welt mit den Blicken von Karl sieht. Um M.‘s romantisches Schmachten nach Karls Abreise zu mildern und sicher noch mit anderen Hintergedanken, schenkte ihm sein Vater Goethes Italienreise zum Geburtstag. M. hatte sich zwar eigentlich Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gewünscht, versinkt aber dann mit seiner Teenager-Romantik voll in Goethes Reiseaufzeichnungen, die dieser von vor fast 200 Jahren machte. Gerade die selbstbewusste Unvollständigkeit und das Fehlen von Wichtigem, hatten es ihm besonders angetan.
« Hatte der von M. angebetete Karl nicht dasselbe gemacht, als er, von Oslo kommend, Italien mit einem Interrailticket durchquerte, ohne sich im Norden und in der Landesmitte aufzuhalten, um glücklich und frei von Gewissensbissen im ersehnten Süden zu landen, wo der noch ahnungslose M. Schon bereits war, ihn zu empfangen.? » (Mario Fortunato – Goethe in Terracina)
Eine wunderbare Geschichte, die auf vier Ebenen hin- und her tanzt. Magisch spinnt Fortunato die Fäden zwischen seiner Begegnung mit einem norwegischen Jugendlichen, der sich in den Süden verliebt, einem Goethe, der in Assisi nicht mal Giottos Fresken besucht weil es ihm nicht schnell genug gehen kann, endlich in Rom anzukommen und M., der eigentlich lieber Proust lesen wollte oder wenigstens den Faust, aber keine Reisegeschichten und Betrachtungen über Geologie und wie sich das alles Viele Jahre später in Terracina zu dieser bezaubernden Geschichte fügt, die er uns gestern Abend teilweile vorgelesen hat.






Jan Koneffke Goethe-Entdeckung ist ganz anders passiert. Seine Erzählung trägt den Titel eines Goethe-Zitates: « So denkt an mich als einen Glücklichen. » Jan Koneffke ist 1960 in Darmstadt, in Büchners Stadt, das ist für ihn wichtig, geboren. In Koneffkes Kinder- oder Jugendwelt existierte Goethe nicht, seine links-stehende Familie akzeptierte die russische Literatur und vielleicht noch die Französische, erzählt er uns später, aber Goethe stand nicht auf dem Literaturprogramm. Koneffke las das Kapitel Die Reise des Lesers vor. Er hat sich mit der Italienischen Reise weder literarisch noch wissenschaftlich auseinandergesetzt, sondern als ganz normaler Leser, gewissermaßen als Hinz und Kunz, fügt er hinzu und hat dementsprechend seine Erfahrungen in Italien, als Stipendiat der Villa Massimo, an denen von Goethe gemessen. Auch Koneffke hat sich, wie Goethe und wie Karl, in Italien verliebt, ist nach dem Jahr bei der Villa Massimo noch sieben weitere Jahre geblieben und ist von der schick-abgeschirmen Villa Massimo in das Studenten- und Arbeiterviertel San Lorenzo gezogen. Koneffke hat italienisch gedacht, italienisch gesprochen (auch mit seiner Frau, die er hier kennen lernte), italienisch gelebt, italienisch gegessen und italienisch fern gesehen. Das einzige, was der auf Deutsch (ernst) tat, war schreiben!
« Was uns verband, meinen prominenten Vorgänger und mich: Wir waren beide Mitte Dreißig. Was uns trennte: Er sprach bereits Italienisch, ich musste es erst lernen. Goethe stieß sich wiederholt an den Einheimischen: « Was allen Fremden auffällt und was heute wieder die ganze Stadt reden, aber auch nur reden macht, sind die Totschläge, die gewöhnlich vorkommen » . Mir wiederum missfiel das politische Leben, von der Herrschaft des Partikularinteressens und dem fehlenden Gemeinsinn bis zum billigsten Propulismus und der grassierenden Korruption. In meinen deutsch ernsten Fantasien hätte ich mich gern als « Polizeisoldat des Himmels » (Georg Büchner) in die Verhältnisse eingemischt, um sie « in Ordnung » zu bringen. » (Jan Koneffke – So denkt an mich als einen Glücklichen)
Jan Koneffkes Erzählung hat eine ganz andere Annäherung an Goethe, endet war dennoch mit dem gleichen Gedanken: Auch ich war in Arcadien!

In der anschließenden Diskussion ging es dann hauptsächlich um das Herabschauen des Nordens auf den Süden – aber nicht nur um das von Mailand auf Rom – , um Vorurteile und Allgemeinplätze und Fortunato sprach einen Rat an die Politiker in Europa aus: Lest Euren Goethe vor den großen Europäischen Räten und sonstigen Besprechungen. Da steht schon die Gebrauchsanleitung für Europa und alles andere drin!

Interessanter Abend, der am 1. März in Berlin im Italienischen Kulturinstitut wiederholt werden wird.
Christa Blenk
Und hier noch mehr Berichte über Veranstaltungen in der Casa di Goethe:
zwei Dichter zu Gast bei Goethe
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